Flüchtlinge von Einst

Die Hochzeit

Alles fängt mit einer großen prächtigen Hochzeit in Paris an. Heute würden bei einem solchen Event hunderte Beauty Bloggerinnen aus aller Welt zugegen sein. Welches Kleid trägt Katharina von Medici, die Mutter des Königs? Gibt sie einem italienischen Designer den Vorzug oder entscheidet sie sich für eine Reverenz an ihre franzöische Wahl-Heimat? Finden sich im Hochzeitskleid ihrer Tochter Margarete von Valois Andeutungen an den protestantischen Glauben des Bräutigams? Und erst der Bräutigam Heinrich von Navarra. Wann trifft er in der Hauptstadt ein? Wieviele Trauzeugen und andere beste Freunde bringt er mit? Die Klatschreporter würden um die besten O-Töne feilschen. Sicherlich wären sie alle schon einige Tage vor den geplanten Hochzeitsfeierlichkeiten vom 18. bis 21. August 1572 angereist. Es stand schließlich die Hochzeit des Jahrzehnts, wenn nicht des Jahrhunderts an. Die Katholikin Katharina von Medici, immerhin Nichte eines Papstes, versuchte mit der Heirat ihrer Tochter mit dem Protestanten Heinrich von Navarra die verfeindeten Lager miteinander zu veersöhnen.

Die Hochzeitsnacht

Was dann aber geschah, hätte niemand von der bunten Presse und sicherlich auch nahezu niemand aus der Blogosphäre geahnt. Am frühen Morgen des 22. August, eigentlich noch nachts, um drei Uhr leuteten die Glocken der gegenüber dem Louvre liegenden Kirche Saint-Germain-l’Auxerrois. Damit brach das Morden los. Schwarz gekleidete Katholiken, erkennbar an einer weißen Feder am Hut stürmten die Straßen und ermordeten nicht nur die adligen Protestanten, die mit Heinrich von Navarra aus dem Südwesten in die Stadt gekommen waren. Alle, die ihnen zufällig im Weg standen, wurden ebenfalls brutal umgebracht Sie entrissen Säuglinge ihren Müttern um sie an die nächste Wand zu klatschen, erdolchten alte Männer ebenso wie junge Frauen und kleine Kinder. In dieser Nacht scheiterten Katharinas jahrelange Versöhnungsversuche zwischen den Parteien und Religionen endgültig. Genau genommen waren sie schon zwei Tage zuvor gescheitert, als ein Attentat auf Admiral Gaspard de Coligny, den Anführer der Hugenotten misslungen war. De Coligny überlebte. Nun fürchteten die Katholiken den Gegenangriff. Katharina ließ sich überzeugen und überzeugte ihren Sohn, König Karl IX. , dass nur ein präventiver Gegenschlag das Schlimmste verhindern könnte. Ein folgenschwerer Fehler. Die begrenzte Vergeltungsmaßnahme lief schnell aus dem Ruder. In dieser Nacht und vielen kommenden starben in Paris wohl rund 3000 Menschen. Von August bis in den Oktober hinein breitete sich die Welle der Gewalt in zahlreiche andere Städte Frankreichs aus, etwa in Bourges, Rouen, Meaux, Orléans, Albi, Gaillac, Bordeaux und Toulouse. Die Zahl der Opfer wird auf 5.000 bis 15.000 geschätzt. Aus der Pariser Bluthochzeit erwuchs Frankreich der vierte Religionskrieg.

Die ersten flohen. Französische Protestanten gingen auf die andere Seite des Rheins, ließen sich in Wesel, Köln, Frankfurt, Hanau, in der Pfalz und in Straßburg nieder.

Knapp zwei Jahre später starb König Karl IX. unerwartet. Ihm folgte sein Bruder, der Herzog von Anjou, als Heinrich III. auf den Thron. Ein leichtsinniger, lebelustiger Mensch, der sich 1585 erschreckend wenig für den Ausbruch eines neuerlichen Religionskrieg in seinem Land interessierte. Ein Fehler, den er vier Jahr später mit dem Tod bezahlen sollte. Damit war Heinrich III., der letzte französische König aus dem Hause Valois. Ihm folgte – ausgerechnet – der Protestant Heinrich von Navarra auf den Thron. Jener unglückliche Protestant, dessen Hochzeit so blutig geendet war. Für den Thron musste der Bourbone nun doch noch – „Paris ist eine Messe wert.“ – zum katholischen Glauben konvertieren.
Der ehemalige Calvinist konnte als Heinrich IV. mit dem Edikt von Nantes 1598 die verfeindeten Lager einigermaßen befrieden und einen Schlussstrich unter ein Vierteljahrhundert Religionskriege ziehen. Für die Protestanten in seinem Land bedeutete dieses Edikt erst einmal Ruhe. Eine Phase der Duldung folgte.

Und alles noch mal von vorne

Geschrieben für die Ewigkeit hielt das Edikt nur ein paar Jahrzehnte. Besonders unter Ludwig XIV., dem Enkel Heinrichs, nahm die Zahl der Verbote wieder zu. Im Beruf, bei der Feier öffentlicher Gottesdienste, im Familienrecht überall mussten die Hugenotten Einschränkungen hinnehmen. Die sogenannte Dragonaden nahmen zu, protestantische Familien mussten die Einquartierung von Dragonern als gestiefelte Missionare des Königs erdulden. Den Schlusspunkt unter diese Politik der Einschränkung und Ausgrenzung setzte das Edikt von Fontainebleau, das Ludwig XIV. am 18. Oktober 1685 südlich von Paris proklamierte. Fast alle Errungenschaften des Ediktes von Nantes wurden wieder zurückgenommen. Wer nicht konvertieren wollte, hatte praktisch nur eine Wahl: Flucht.

Bad Karlshafen

Des einen Leid, des anderen Vorteil. Viele Hugenotten waren gut ausgebildete Handwerker und Fachleute. In den Nachbarländern etwa in Brandenburg-Preußen aber auch in Hessen-Kassel brauchten die Herrscher dringend Untertanen. Der 30-jährige Krieg und die Pestwellen hatten ihre Bevölkerung empfindlich dezimiert. Landstriche drohten zu verweisen, ganze Dörfer standen leer. Handel und Gewerbe fehlte der Nachwuchs. In dieser Situation erließ in Brandenburg der Große Kurfürst das Edikt von Potsdam. Es erlaubte den Geflohenen, sich in seinem Land niederzulassen, gewährte Steuerfreiheit für zehn Jahre, erließ teilweise Zölle. Ein kluger politischer Schachzug. Wohl um die 20.000 Menschen ließen sich in Brandenburg nieder und bescherten dem Land einen wirtschaftlichen und intelektuellen Aufschwung.
Ähnliches erhoffte sich wohl auch der hessische Landgraf Karl I.. Auch er Calvinist, erließ kurz nach dem Edikt von Fontainebleu ein eigenes Edikt, das die französischen Glaubens-Flüchtlinge mit einer Reihe von Erleichterungen, Steuerfreiheiten, Zollbefreiung, kostenloser Grund- und Boden, religiöser Freiheit, ermunterte sich in seinem weitaus kleineren Land nieder zu lassen. In der Hoffnung auf eine große wirtschaftliche Zukunft ließ er zwei Städte auf dem Reißbrett planen: Die Oberneustadt von Kassel und Bad Karlshafen. Die barocke Stadtanlage von Karlshafen sollte im äußersten Norden seines Landes eine wirtschaftspolitische Brücken-Funktion übernehmen. Der Landgraf wollte damit nicht nur den Zoll im nahegelegenen Hannoversch Münden umgehen indem er die Stadt über einen Kanal mit Kassen verband, Hessen sollte über Wasserwege bis an die Nordsee angebunden werden.
Die meisten Hugenotten kamen über die Drehscheibe Frankfurt am Main, wo mit den Menschen Nachrichten und Gerüchte eintrafen. Die Nachrichten aus Brandenburg müssen bessergelkungen haben. In die hessische Provinz zogen nur wenige versierte Handwerker und Kaufleute, dafür kamen viele arme Bauern. Auch die brauchte der Landgraf, auch bei ihm standen die Dörfer leer. Seine wirtschaftspolitischen Visionen allerdings konnte er nicht umsetzen. Die Verbindung von Rhein und Weser gelang nie. Nur etwa 25 Kilometer Kanal wurde gebaut, nach 17 Jahren versandete das Projekt. Bad Karlshafen ist nie die vor Geschäftigkeit brummende Handelsmetropole geworden, von der der Landgraf getrräumt hat. Aber ein wunderschönes barrockes Städtchen.
Über die freien Tage rund um den Tag der Deutschen Einheit rudern wir über den ehemaligen Grenzfluss Werra und die Weser dorthin. Ein anderer großes Vorhaben jedenfalls hat geklappt: Die friedliche Revolution der Menschen in der DDR und die Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands. Auch diesen beiden Ereignissen sind mutige Menschen vorangegangen. Etliche sind geflohen, manche bei uns an der Werra. Viele sind geblieben und im Land selbst mutig gewesen. Heute jedenfalls ist die Werra kein Grenzfluss mehr. Ist das nicht schön?

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