Menschen im Café

Ich sitze im Café um endlich mal wieder über die Dinge, die Mathilde mag, zu schreiben. Gute Vorsätze umsetzen. So wenig wie im letzten Jahr will ich nie wieder ins Mathilde MAG schreiben. Ich fühle mich etwas Erich-Kästner’erisch. So weit so schön. Eventuell ist es ungünstig, dass ich etwa einhundert Jahre später lebe und es in den 2020er Jahren das Internet gibt, was in den 1920er Jahren noch niemand abgelenkt hat, die in einem Café schreiben wollte.

Na gut bevor ich damit anfange, kann ich ja erst mal das Internet leer lesen. Denn es geht ja auch um Vernetzung. Das ist schließlich der Teil am Schreiben im Zwischennetz, den ich so gerne mag. Dass ich dann versehentlich Kleider recherchiere, die mich kein bisschen vernetzen werden, steht auf einem anderen Blatt. Keine Ahnung, wie das passieren konnte.

Während ich mich also vom Schreiben ablenke, fangen die beiden Mädels am Nachbartisch an sich mich zu unterhalten. Zwei Musikerinnen, Geige und Bratsche, den Hardcases nach zu urteilen, von der nahegelegenen Hochschule. Es gibt um Examenskonzerte, Auftritte, Verspätungen, Aufregungen, Ärger mit den Kolleginnen vom Trio (die zu spät kamen, weil sie den Großstadtverkehr nicht richtig eingeplant hatten) und all das. Es ist eine ganz und gar liebenswürdige Unterhaltung zweier Freundinnen, die Mitte/ Ende Zwanzig sind. Es passiert ganz automatisch, ich höre Ihnen zu und denke dazwischen. Die Geige erzählt, die Stimme hell und aufgeregt, wie sie am Veranstaltungsort in Blankenese früher als geplant eintraf, obwohl sie wegen eines vorherigen Termins eigentlich als letzte hätte ankommen sollen. Die meisten Konzertgäste seien jedenfalls schon da gewesen, nicht aber ihre Mitspielerinnen. Die Veranstalter hätten höflich gefragt, ob das Konzert denn pünktlich beginnen könne. Ein wenig Zeit hätten sie da ja noch gehabt. Aber die Anderen seien noch nicht da gewesen, also habe sie sie angerufen. „Wir haben uns gestern Abend die Fahrtzeit auf google maps angesehen, da war es nur eine halbe Stunde. Aber jetzt mitten am Tag dauert es viel länger.“ Immer heller und aufgeregter wird die Stimme der Geige, als sie von den Mitstreiterinnen erzählt. Eigentlich hätte es so langsam losgehen sollen. Die Veranstalter hätten also wieder gefragt. Außerdem habe sich die Frau S. angekündigt, bei der sie sich für ein Konzert in der Elphi beworben hatte. Die saß ja jetzt auch im Publikum und wartete, wie peinlich. Und sie stand da und habe auch nicht gewusst. „Ja, wir sind jede Minute da.“, hätten die Anderen aus dem Auto beruhigt. Also habe sie sich schon mal auf die Bühne gestellt und ein paar einleitende Worte gesagt. Und dann noch ein paar, aber wie lange könne man reden? Bis im letzten Moment die Anderen endlich aufgetaucht seien und sie endlich angefangen hätten.

Wie sie es geschafft habe ins Spiel zu finden nach all der Aufregung, will ich die junge Geige fragen, ich könnte das nie. Ich kann ja nicht mal unter den allerfreundlichsten, entspanntesten Bedingungen etwas vorspielen, nicht mal meinem Klavierlehrer, von dem ich gerade komme. Ich frage lieber nicht. Stattdessen klicke ich mich weiter durchs Netz.

Nun geht es nebenan um die Geschichte mit dem F. Schon fast vier Wochen sei die Trennung her. Sie wisse, sagt die Geige mit leiser Stimme, dass es ihm auch schlecht gehe. Von Freunden habe sie gehört, dass er sich in die Vorbereitung seines Abschlusskonzertes stürze. Nur Arbeit, bloß nicht nachdenken, das sei wahrscheinlich seine Methode. Aber sie könne das nicht, sie müsse nachdenken. Man hätte ja Sachen anders machen können. Mehr aushandeln, was für den einen nötig sei, was für die andere. Das sei ja doch immer so in Beziehungen, dass man schauen müssen, wer mit was leben könne und wer was brauche. Und sie habe es ja auch immer wieder versucht, so könne man es machen, zum Beispiel bestimmte Telefonzeiten vereinbaren, wenn er seine Ruhe brauche, oder anders, eben nach den Bedürfnissen, es gebe ja nicht die eine Regel, wie eine Beziehung zu funktionieren habe.

Oh Mann, denke ich, der wollte dich einfach nicht genug und wahrscheinlich stürzt der sich jetzt nicht in seine Arbeit um sich abzulenken, sondern ist einfach erleichtert seine Ruhe zu haben. „He’s just not into you.“ sagt Miranda in „Sex and the City“ mal in einer Folge zu Carrie Bradshaw, fällt mir ein. Er will einfach nix von dir! Manchmal ist es so einfach. Und tut trotzdem so weh. Fast hätte ich es der jungen Geige gesagt, aber ich kann mich gerade noch zurück halten. Meinen Rat braucht sie bestimmt nicht. Sie hat ja eine mitfühlende Freundin gegenüber sitzen und die sagt auch lauter mitfühlende, richtige Sachen. Einen Moment fühle ich mich schlecht, dass ich mithöre, aber die beiden sitzen nun einmal gleich neben mir, nur wenige Zentimeter trennen uns. Ich kann gegen das Mithören nicht wirklich was tun. „Der Mann kommt nicht zurück, aber irgendwann wird dir wer anderes das gleiche Gefühl geben können, dass du jetzt so schrecklich vermisst, möchte ich der Geige gerne sagen.

Entschlossen lenke ich mich ab, bestelle noch eine Stück Kuchen, fange endlich an zu schreiben. Aber dann reden sie nebenan vom Beruf und wie das nach dem Examensprüfungen wohl werden wird. Ob sie es in ein Orchester schaffen. Noch können sie sich nicht vorstellen, einmal Musik aus beruflichen Gründen zu spielen und nicht, weil man ein bestimmtes Stück so gerne mag- Oder, sagt die Bratsche, weil es einen weiterbringt. Sie war gerade bei einem Vorspielen für ein Orchester. Wie es denn mit dem Zittern gewesen sei?, will die Geige wissen. Am Anfang sei es sogar gegangen, aber dann nach so zehn Minuten sei es wieder da gewesen, erzählt die Bratsche. Das Schlimmste sei die Kollegin gleich neben ihr gewesen, die habe irgendwann auch angefangen leicht zu zittern. Wie das überhaupt angefangen habe?, will die Geige von ihr wissen, während ich im Kopf neunmalkluge Ratschläge formuliere, Atemtechniken aus dem Yoga empfehlen will, solches Zeug. „Im letzten Herbst, sie sei gerade aus Vietnam zurück gewesen, habe also eine ganze Weile nicht gespielt gehabt, die Finger seien noch nicht wieder ausreichend trainiert gewesen. „Ach so, am Anfang war es ein körperliches Problem.“, bemerkt die Geige mit dem Liebeskummer. „Aber dann ist es auch psychisch geworden.“ Jedenfalls gehe sie jetzt zu einer Psychologin, vielleicht helfe das ja was.

Meine Freundin in Rendsburg fällt mir ein, die ist Psychaterin. Nicht ganz dasselbe. Jedenfalls hat sie gerade ihren Vater verloren und wir wollten im Februar was zusammen unternehmen. Es wird Zeit sie endlich mal wieder anzurufen. Ach ich habe so viel vor in der nächsten Zeit, nur ob schreiben im Café eine Alltagsroutine wird, das weiß ich wirklich noch nicht. Zu viele Ablenkungen.

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