Wenn man aus der Großstadt kommt, Hamburg zum Beispiel, dann kann man es still finden in der Provinz. Das ist nicht schlechter, nur anders. Und ich bin mir sicher, diejenigen, die da täglich wohnen, empfinden es auch gar nicht so. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass ich früher gedacht hätte. „Oh Gott, was ist es hier still.“ Nee, wirklich nicht. Heute aber
ist es mein liebster Programmpunkt mit dem Fahrrad von Eschwege durch die stillen Werra-Auen nach Heldra zu radeln. Die Sonne soll dabei scheinen, die Leuchtberge ein bisschen Schatten werfen. Man kann rechts oder links der Werra fahren und auf jeder Seite ist es ganz bezaubernd, ein bisschen ländlich still, vor allem aber sehr bezaubernd.
Noch bezaubernder wird es nur, wenn man in Heldra die Dorfstraße hinunter fährt und auf das alte Frank’sche Gut zuradelt. Der Gutshof in der Dorfmitte nennt sich heute Kleegarten, hat einen beschaulichen, bezaubernden (ich wiederhole mich, ichweißichweiß) Garten, in dem verstreut weiß lackierte Gartenmöbel herum stehen und verschiedene liebevoll restaurierte Fachwerkhäuser.
Lange waren die Gebäude um das zweigeschossige Haupthaus von 1621 völlig herunter gekommen. Spätestens 1999 drohte die Adresse der Gutsanlage, Vor der Lücke, zur namensgebenden Realität zu werden. Zum Glück für das nordhessische Heldra fand sich eine Initiative rund um den Arzt Dr. Pippart aus dem benachbarten Wanfried, die sich der drohenden Lücke in der Dorfmitte annahm. Vor 16 Jahren wurde in die Hände gespuckt, mühsam die Gebäude entrümpelt, die Dächer repariert, nach und nach das Fachwerk und die originalen Böden wieder freigelegt. Das Innere des Haupthauses sieht heute wieder annähernd so aus, wie Familie von Grotthausen das Franck’sche Gut ab 1741 eingerichtet hatte. Die schöne alte Treppe erstrahlt wieder im originalen Zustand, genau wie die schweren Steinböden, viele historische Türen, zum Teil mit den alten Silberbeschlägen. Im ersten Stock findet auch heute noch eine aus dem 18. Jahrhundert stammende Holztrennwand.
Heute kann ich vom zartgrünen Salon im Erdgeschoss, zur guten Stube im ersten Stock wandeln. Es gibt ein rotes Zimmer, eines mit türkisen Akzenten. Poliertes Kirschholz im sanft geschwungenen Geschmack des biedermeierlichen Bürgertums findet sich verteilt auf verschiedene Essgruppen in den Salons. Heute ein Restaurant . Vor dem Fenster befindet sich ein ordentlich angelegter Nutzgarten. Den schmecke ich später auf dem Teller. In der alten Küche mit dem mächtigen Herd in der Mitte kochen sie ganz vorzügliche Landküche, der Spargel und die Kalbsschnitzel, die wir neulich im Kleegarten gegessen haben, waren jedenfalls sehr lecker.
Egal, wohin man schaut , überall finden sich liebevoll arrangierte Accessoires. Hier eine Blumenvase mit ertrödelten Zinntellern, dort weich polierte Holzkegel, auf der Fensterbank steht Rosenmuster-Geschirr.
Im Haupthaus gibt es weiße Gästezimmer mit sehr schön restaurierten Biedermeiermöbeln. Wer es rustikaler als in den Gästezimmern des Haupthauses möchte, kann auf dem Heuboden über der alten Backstube nächtigen oder in einem der alten Zirkuswagen, die hinterm Haus bunt und hübsch in der Landschaft herum stehen.
Ich will das alles meistens nicht. Ich finde es am allertollsten, nachmittags im Sonnenschein zum Kleegarten zu radeln, da ein Stück Torte zu essen, noch ein wenig in die Sonne zu schauen und hinterher wieder heim zu fahren.
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