Ich habe Arvid* vor ein paar Monaten kennen gelernt. Vor vier Jahren, da war er gerade mal 16 Jahre alt, hat er sich alleine auf den weiten Weg von Kabul nach Hamburg gemacht. Er ist in einer Großfamilie aufgewachsen, wie wohl die meisten Afghanen. Recht streng ging es da zu, kleine Kinder sollte man sehen aber nicht unbedingt hören können. Das hat er mir neulich erzählt, als eine Gruppe Kleinkinder lärmend um die Tische und Stühle im Café herum sauste. So etwas hätte er mit vier, fünf Jahren nicht gewagt.
Asien im Gesicht, aber Hamburg in der Stimme
– im zögerlichen Warm des Hamburger Sommers wirkt der Junge mit der olivfarbenen Haut und den mongolisch anmutenden Augen wie ein ganzer normaler Twentysomething. Einer, der unter der Woche arbeiten geht oder irgendwas studiert und am Wochenende auf dem Kiez feiert. Aber ganz so unbeschwert ist Arvids Leben irgendwie doch nicht. Gerade macht er eine Ausbildung zum Elektriker, aber anders als die anderen Lehrlinge jobbt er nachts oft noch in einem Restaurant. Bald muss er aus der Wohnung vom Jugendamt ausziehen und für eine eigene Wohnung braucht man Geld, zum Beispiel für die Kaution. Arvid hat halt keine Eltern in der Nähe, die dann mal eben aushelfen. Auch nicht, wenn er mal wen zum Anlehnen braucht. Seine Familie ist weit weg. Schicksal vieler Flüchtlinge.
Integration in Deutschland
Seine Familie ist auch weit weg, wenn ihm alles zu viel wird. Und das kann ganz schön leicht passieren. Als er hier ankam, konnte Arvid kein Wort Deutsch, auch in seiner Muttersprache Dari, eine Variante des Persischen, konnte er nicht gut schreiben und lesen. Zu viele Schafe und Ziegen, die zu hüten waren, zu wenig Zeit für Bildung. Trotzdem hat Arvid die Hamburger Stadteilschule irgendwie geschafft. Laut und chaotisch war es da zuweilen, aber manchmal auch ganz toll. Er hat Freunde gefunden. Sein Klassenlehrer hat sogar Persisch gelernt hat, um endlich mit seinen Schülern reden zu können. Und jetzt kann Arvid ziemlich gut schnacken, korrekt schreiben oder komplizierte Sachverhalte erklären noch nicht ganz so gut. Das übe ich manchmal mit ihm, schließlich will er die Zwischenprüfung unbedingt gut schaffen. Aber er muss will auch täglich arbeiten und manchmal jobben für kleine Extrawünsche oder die anstehende Kaution und eine Wohnung suchen muss er auch noch. Und manchmal will er auch einfach 20 sein und feiern gehen, wie anderer Zwanzigjährige auch. Dafür muss er allerdings auch wieder mehr jobben, um sich das auch leisten zu können.
Ankommen in Deutschland geht. Und mit ein bisschen Glück kann man sich auch willkommen fühlen wie Arvid. Ich glaube, das hat den Vorteil, dass ihm sein Leben hier gelingen wird und das ist für alle gut, nicht bloß für Arvid. Er ist schon jetzt ein ganz netter Hamburger Jung. Oder anders gesagt: Das Deutschsein hat er schon ganz gut drauf mit ein paar Farben, die er aus Afghanistan mitgebracht hat. Und bestimmt gelingt ihm auch noch alles Andere, was er sich wünscht: Das Abitur nachholen, vielleicht sogar studieren, eine Ingenieurwissenschaft schwebt ihm vor, irgendwann vielleicht heiraten, Kinder haben.
Ich habe Arvid über SchlauFox kennen gelernt. Der Verein vermittelt jungen Flüchtlinge Mentoren, die sie ein bisschen beim Lernen und Klarkommen in Deutschland unterstützen.
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