Gertrud

Copyright U. Mathilde Ammermann

Oder wie schwer die Liebe doch ist. Eigentlich weiß das natürlich jeder Mensch, der einigermaßen erfolgreich erwachsen geworden ist. Man hat’s ja schon mal ausprobiert: Das Sich-Verlieben, das Schmetterlingshafte im Bauch, die Atemlosigkeit, in der so viel Glück steckt. Und später dann, nach dem Ende, die Atemlosigkeit, in der das ganze Unglück dieser Welt zu wohnen scheint. So schlimm, dass es bestimmt nie wieder weg geht. Tut es dann zum Glück irgendwann doch. Und wer richtig Glück hat im Leben, kennt auch das Gefühl sich genau richtig, sicher geborgen und gleichzeitig begehrt zu fühlen in – ohne dass das irgendwann enden muss.

Gertrud kennt dieses Gefühl wohl nicht.

Sie ist die Frau, um die sich die Geschichte im gleichnamigen Theaterstück von Hjalmar Söderberg dreht. Das Thalia Theater in Hamburg erzählt in dieser Spielzeit ihre Geschichte. Dort lerne ich Gertrud, die immer noch berühmte ehemalige Opernsängerin, als elegante Gattin eines aufstrebenden Politikers kennen. Den hat sie einige Jahre zuvor geheiratet um die „relativ beste Form einer Liebesbeziehung“ zu führen, wie sie es nennt. Ein verlorenes Kind und ein paar wohlsituierte Ehejahre später fühlt sich ihr Bund mehr „relativ“ denn als „beste Form“ an. Gertrud hat sich nebenher in einen jungen aufstrebenden Künstler verliebt. Sie nimmt sich die Freiheit, das frische Gefühl auszuleben und sich von ihrem Mann zu trennen. Davon lässt sie sich nicht abbringen. Auch dann nicht, als der junge Liebhaber das große Gefühl verrät, indem er eines Nachts mit seiner Eroberung prahlt. Zufällig sitzt in dieser Herrenrunde Gertruds ehemaliger Geliebter Gabriel Lidmann, der für einen kurzen Besuch in der Heimatstadt weilt. Er konfrontiert Gertrud am nächsten Morgen mit der Prahlerei. Wohl auch um sie zurück zu gewinnen. Aber selbst die herbe Enttäuschung ihres geliebten Erland lässt Gertrud nicht schwanken. Sie will selbst entscheiden, wie die richtige Liebe für sie sein muss. Und wenn sie die nicht haben kann, dann will sie selbstbestimmt leben. Der Ehemann Gustav Kanning, der ehemalige Liebhaber Gabriel Lidmann und der junge Geliebte Erland Jansson – alle drei Männer haben Erwartungen an Gertrud und daran, wie eine Frau sein soll. Sie alle stößt Gertrud vor den Kopf.
Regisseur Eirik Stubø hat die Geschichte fast grafisch auf die Bühne an der Gaußstraße gebracht. Die vier Figuren befinden sich zumeist in den vier Ecken eine gedachten Quadrats mit nicht viel mehr als dem Kostüm, einem Klavier und einem Stuhl um ihre gesellschaftliche Position und die Beziehung zu den anderen Figuren anzudeuten. Am vorderen Bühnenrand wird jeweils eine Beziehung und Sichtweise verhandelt, die anderen beiden Charaktere bleiben zumeist präsent. Das ist nur logisch, schließlich betrifft es sie auch stets. Wenn Gertrud Kanning die Liebe kündigt, dann hat das Wirkung auf das Leben des jungen Erland, dessen Affäre auf einmal eine ganz andere Bedeutung zu bekommen droht. Es betrifft auch auch Gabriel, der auf eine neue Chance hoffen kann. Wenn Gabriel Gertrud vorne am Bühnenrand von Sielands Verrat am nächtlichen Spieltisch erzählt, er sie mit der nacherzählten Prahlerei verletzt, bedeutet das etwas für sein Leben, vielleicht aber auch für das Leben des Ehemanns am Rand der Bühne. So kann er Gertruds Loyalität neu einfordern.

Habe ich schon gesagt, dass ich die Inszenierung großartig fand? Das ist sie nämlich. Und es macht überhaupt nichts, dass ich schon (fast) alles verraten habe. Selbst wenn man das Ende schon am Anfang kennt, es bleibt großartig. Unbedingt anschauen! Heute Abend, am 10. und am 16. Januar wird Gertrud noch im Thalia in der Gaußstraße gespielt.

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