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Papierschiff vor Seegraskörben - Mathilde MAG

Ich bin noch nie irgendwohin geflohen. Es würde mir wohl auch sehr schwer fallen. Vermutlich könnte ich dann nicht die alte Kommode meiner Patentante mitnehmen, nicht meine (vielen, vielen) Bücher* und meine alten Erinnerungsstücke. Tagebücher und Fotos müssten da bleiben und mit ein bisschen Pech käme nicht einmal mein geliebtes Notebook mit. Alles Dinge, die schon so manchen Umzug zu einer logistischen und zwischenmenschlichen Herausforderung gemacht haben.

Papierschiff

Fliehen ist anders als Umziehen, es wohnt ihm nicht die Leichtigkeit des Aufbruchs inne, die Freude auf das Neue, was kommt mit. Es geht weniger darum Neues zu entdecken als vielmehr darum Altes hinter sich zu lassen. Vor allem kann man nicht mal eben für Weihnachten oder das Zuckerfest, Hanukka oder den Geburtstag des Bruders zurück kehren. Das macht keiner ohne Not. So verheißungsvoll sind Bootstouren mit Untergangsgarantie oder Passagen in verschlossenen Lieferwagen nicht. Und die Aussicht lange, vielleicht nie wieder etwas von den Zuhause gebliebenen Lieben zu hören, ist auch nicht direkt rosig. Schon deshalb kann man zu denen, die hier einigermaßen heil angekommen sind, doch nur nett sein. Man kocht ihnen eine warme Suppe, verteilt Decken und erzählt den Kindern lustige Geschichten. Was denn sonst?
Mein Vater floh als Kind mit seiner Familie aus dem russisch besetzten Thüringen in den Westen Deutschlands. Als sie endlich in der kleinen Heimatstadt seines Vaters ankamen, standen seine Tanten schon am Fenster und riefen: „Da seid ihr ja endlich!“ Ein paar hundert Kilometer von Thüringen nach Hessen zu fliehen ist nach den Maßstäben all der entsetzlichen Fluchtgeschichten, die am Ende des 2. Weltkrieges gelebt und ertragen wurden, nach all den monatelangen Trecks, dem Hunger, der Kälte, den Vergewaltigungen ein Fliegendreck. Und nach den Maßstäben der Geschichten von heute aus dem rechtsfreien Raum Libyens, winzigen dem Untergang geweihten Booten auf dem Mittelmeer, tagelangen Fußmärschen und Transporten in Lastern ist die Geschichte meiner Familie geradezu niedlich in all ihrer Harmlosigkeit.** Trotzdem blieb der Willkommensruf, das gemütliche Abendessen in der dann völlig überfüllten Stube jahrzehntelang Teil der Familiengeschichten.

Ich wünsche mir, dass viele Flüchtlinge sich möglichst so an ihre Ankunft in Deutschland erinnern. Ich weiß, die meisten von uns möchten trotzdem auch ihren Alltag weiter leben. Es sind eben nicht die eigenen Cousins und Neffen, Tanten und Freunde der Familie, die da leicht verdreckt und übermüdet ankommen. Es sind Fremde, die da kommen.
Wir müssen trotzdem – unbedingt – Wege finden, unsere Gäste willkommen zu heißen und ihnen hier eine neue Heimat anzubieten. Zum Glück gibt es inzwischen wirklich viele Initiativen nicht nur in Hamburg, wie wir hier im Elbsalon mal zusammen gefasst haben. Auch hier finden sich gute Initiativen für Flüchtlinge nicht nur in Hamburg. Toll ist auch die Seite von Birte Vogel, die unter „Wie kann ich helfen?“ Hilfsprojekte vorstellt.
Wenn wir das gemeinsam anpacken, dann wird es ganz toll werden. Da bin ich mir sicher. Wir können in Deutschland mutige Menschen mit Fähigkeiten gut gebrauchen. Sehr gut sogar, wenn man bedenkt, dass wir ungebremst älter werden und viel zu wenige Kinder bekommen.

  • * Ichweißichweiß, es gibt Kindle und Co, aber ich gucke so gerne auf meine Bücherwand. Die funktioniert ein bisschen wie ein ausgelagertes Gedächtnis.
    Ach ja und ich weiß natürlich auch, dass das sehr alberne Luxusprobleme sind, aber ich hätte sie am Anfang bestimmt.
    ** Es gab noch ein paar gefahrvollere Episoden, aber letztlich haben alle Familienmitglieder dies Flucht überlebt und selbst die Möbel konnten sie über die Grenze schmuggeln.
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