Bekanntermaßen stecken wir hier im Mathilde Magazin ja gerade in der Renovierungs-Falle. Es ist elendig, sobald man an einer Stelle anfängt alles schön zu machen, desto mehr fallen alle anderen Ecken in der Wohnung auf. So langsam kann ich verstehen, wie Leute Schönheits-Chirurgen-süchtig werden.*
Das viele Aufräumen, Ausräumen, Sortieren und Einräumen ist ermüdend. Also habe ich angefangen nebenher Radiopodcasts zu hören und vor allem Fernsehen zu schauen. Zufällig habe ich gerade Abo-Fernsehen für mich entdeckt. Das bietet mir eine uneinsehbare Menge Filme und Fernsehserien. Vor allem ausländische Serien haben es mir angetan. So wird aus stupiden Fernsehglotzen nebenher ein bisschen Bildungsfernsehen. Aber fangen wir von vor an.
Den Anfang der untermalenden Begleitung meiner Renovierungsorgie machte
US-Amerikanische Fernsehserie
Suits – eine US-amerikanische Anwaltsserie
Die Geschichte um Mike Ross, den hochbegabten Schulabbrecher mit dem fotografischen Gedächtnis, der von Harvard träumt und stattdessen in einer New Yorker Top Kanzlei landet, ist ein Großstadt-Glam gewordener Jungs Traum. Die halbe Zeit liefert sich Mike mit seinem Chef Harvey, einem, nein dem erfolgreichen Top Anwalt New Yorks spritzige Wortgefechte voller Filmzitate frei nach dem Highlander-Motto: “There can be only one!” Was dann doch nie das Ende ist, weil dann ja der andere große Junge auch wieder … „Butch and Sundance are back“, wie Mike es in einer Folge im schicken Zwirn ausdrückt. Um edle Anzüge – Suits – und blitzgescheite Wortgefechte im Dienste der Klagen – Lawsuits – der Klienten ihrer Anwalts-Kanzlei geht es in Suits. Wenn es nicht gerade um schöne Frauen geht. Aber auch die dürfen in Suits schlau und mächtig sein so wie Jessica Pearson, Partnerin und Chefin der beiden großen Jungs oder Donna, Harveys Assistentin, die stets schon jeden Schritt vorausahnt und gehandelt hat bevor irgendjemand ahnen könnte, dass das mal nötig sein würde. Drei Folgen habe ich weiße Bretter lackieren (@Renovieren) verschlungen.
Bis ich mich erinnerte, dass ich ja eigentlich wieder mehr Spanisch lernen wollte. Also habe ich mich auf die Suche nach einer spanischen Serie gemacht und
Kolumbianische Serie
Pablo Escobar – El Patrón del Mal
gefunden. Was sich zunächst, wie die schlimmste aller Telenovelas anhörte, entführte mich zeitweilig fast dokumentarisch in die Welt der kolumbianischen Drogenbosse. Und das ist nix für schwache Gemüter. Pablo Escobar steigt vom armen Sohn eines Bauern aus Medellín zum mächtigen Boss der Kokain-Schmuggler auf. In Kleinflugzeugen lässt er den Stoff in die USA fliegen. Und wird dabei so reich, dass es zu einer eigenen Luxus-Ranch mit Zoo und verschiedenen Nebengebäuden, Striptease tanzenden Schönheitsköniginnen, Villen, Ehefrau, Luxusschlitten, Hubschraubern, Stadtwohnung nebst einflussreicher Geliebten, Fußballclub reicht. Der Preis dafür ist hoch. Lange nicht für Pablo, der anordnet, mordet, erpresst und foltert … und sich dabei stets ausgesucht höflich ausdrückt. Am Ende wird auch der Schwerverbrecher mit dem Leben zahlen. Zwischen mir und dem Ende liegen allerdings noch rund 50 Folgen der aufwändig produzierten Serie. Die kolumbianischen Macher der Serie sind sehr nah an den realen Ereignissen geblieben und haben die Geschichte mit vielen Haupt- und Nebengefiguren erzählt. Kann ich jetzt besser Spanisch? Nun ja, ich weiß jetzt, dass kolumbianische Auftragskiller Sicarios genannt werden, dass nahezu jeder mit einem höflichen Sie angesprochen werden sollte. Und ich weiß, dass ein Narcotraficante eine Drogenhändler. Es bleibt abzuwarten, ob ich von meinem neuen Wissen im nächsten Südamerika-Urlaub Gebrauch machen kann.
Irgendwann wurde mir die Gewalt zu viel. Öh und mein Spanisch zu wenig um weiter den Irrungen und Wirrungen in Medellin folgen zu können. Und ich war immer noch nicht fertig damit, Regale frisch zu lackieren, neu aufzustellen und Bücher nach immer neuen Ordnungs-Systemen einzuräumen (Über das beste Ordnungssystem für private Belletristik – nach Größen? Farben? Themengebieten? Ländern? – schreibe ich demnächst. Eine neue Ästhetik musste her. So habe ich mich dem armen London der 50er Jahre zugewandt und eine Hebamme zu Hilfe gerufen.
Fernsehserie aus Groß Britannien
Call the Midwife
hat diesen wunderbar dinguierten britischen Sound. Die Nonnen des Nonnatus Hauses rahmen im armen Londoner Eastend ihre Gesichter mit rein-weißen Hauben ein während die jungen Hebammen zu babyblauen Uniformen rote Kirschmünder und sanft gewellte Haare tragen. Der Adrettheit der Frauen steht die rohe Welt der einfachen Arbeiter, Hausfrauen und Dirnen, der Dreck des Rinnsteins und der dunklen muffigen Mietshäuser gegenüber. Erzählt wird die Geschichte von Nurse Lee, die als junge Frau aus einer bürgerlichen Familie in das Londoner Eastends kommt. Eingeschüchtert tastet sie sich gemeinsam mit dem Zuschauer in eine Welt, die ihr so fremd ist, dass die dunklen Gassen und Torbögen, das nach Fisch und Fauligem stinkende Wasser des Rinnsteins genauso gut in Timbuktu liegen könnte. Ein Bollwerk der Ruhe und des Five- o’Clock Teas bildet das von Nonnen geführte Nonnatus Haus, in dem sie und ihre Kolleginnen Dienstsitz und bescheidenes Schwesternzimmer haben. In fast jeder Folge helfen Jenny Lee und ihre Kolleginnen einem Baby auf die Welt sei es im Ehebett, auf einem Gemeinschaftsklo, im Rinnstein oder in der improvisierten Gemeindeklinik. Müssen gerade keine Babys auf die Welt, pflegen die Schwestern einen Kranken. Retten tun sie die Welt vielleicht nicht, aber vielleicht machen sie sie ein kleines wenig besser.
Ich habe meine bescheidene Wohnung wenig in den letzten Wochen verlassen und trotzdem das Gefühl um die halbe Welt gereist zu sein.
P.S: Ach Kinners, was ist es schön zurück zu sein. Wie gut, dass sich die Renovierungsfalle langsam wieder öffnet. Die Pause war zu lang. Wie toll, dass Mathilde weiter Sachen mag.