Schmidt und Schmidtchen klingt genau nach der Sorte Ironie, die Friseure in Szenevierteln entwickeln, wenn sie einen Namen für Ihren Haar- Schrägstrich Tattoo-Laden suchen. Und das Haupthaus an der Großen Elbstraße in St. Pauli mag mit seinem Industrie-Schick auch so sein. Aber Schmidt und Schmidtchen ist eben nicht nur ein Szene-Laden, sondern auch eine kleine feine Hamburger Kette, die Cafés in so unterschiedlichen Stadtteilen wie dem eher nüchternen Barmbek, dem schrillen St. Pauli und – nicht zuletzt – dem feinen Othmarschen unterhält. Wie das funktionieren kann, fragen Sie sich? Mit sanfter Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten ohne das eigene Gesicht zu leugnen. Und das trägt maritime Erkennungsmerkmale. Ein Anker auf den süßen Keksen, eine Tarte kann schon mal Leichtes Mädchen heißen oder Ida Wölkchen.
Sonst schmeckt im Café Schmidt in Othmarschen alles so, wie ich das gerne habe. Der Kaffee hat genau die richtige Dosis Bitterkeit, der Milchschaum obenauf ist fluffig und die Tartes sind auf eine feine Art süß. Nicht prollig-süß wie ein Schokoriegel aus dem Supermarkt sondern zart-süß. So schmecke ich mit jedem Bissen, dass ich mir gerade etwas Gutes tue – und nicht wieviele Kalorien auf meine Hüften wollen. Dazu habe ich vor einiger Zeit eine ganz praktische Theorie entwickelt: Ich glaube erstens, dass Kalorien nur dann dick machen, wenn man sie sorgenvoll bedenkt. Und zweitens habe ich mein Essen in lohnende und unnötige Kalorien unterteilt. Lohnende sind solche, die in einer feinen kleinen Tarte stecken, unnötige stecken z.B. in einer neongelben Industrie-Limonade oder eben in einem Fertigriegel.
W–LAN haben sie in Othmarschen nicht, dafür aber Zeitschriften und Magazine. Fast fühle ich mich in alte Zeiten versetzt. Als das Schönste an einem Besuch im Café der gigantische Zeitschriftenstapel war, den ich meist als erstes an unseren Tisch geschleppt habe. Nachdem der gerecht zwischen meiner Mutter und mir aufgeteilt war, durfte die Kellnerin Kaffee, Kakao und Kuchen dazwischen anordnen. Anschließend versanken wir in unserer jeweiligen Lektüre, nur um von Zeit zu Zeit ein Stück Kuchen zu essen oder eine Passage vorzulesen. Herrlich.
Lange habe ich dieses Mal keine Zeit zum Schmökern, da kommt schon meine Kundin und ich muss (ach, dieser Sozial-Stress, es ist schlimm) mich unterhalten. Am Tischchen neben uns tun sie das auch. Der Haushalt sei ja doch eine Belastung und kommendes Wochenende kämen der Bruder und die Schwägerin, ganz ganz dringend müsse sie noch aufräumen. Nein danke, sagt sie pikiert zur Kellnerin, also so Sahne aus dem Süffong, nee also, sie seien schließlich in einer Konditorei, dann lieber keine Sahne, danke, also wirklich. Leise und freundlich wiederholt die Konditorin, die extra aus der Backstube gekommen war, dass sie grundsätzlich echte Sahne in den Sahne Siphon füllten. Nur leider sei er eben gerade leer gewesen, weshalb es noch einem Moment damit dauere. Aber sie könne die Sahne natürlich auch gerne wieder von der Bestellung streichen. Mit deutlichem Ärger in der distinguierten Stimme bestellt die Gästin die Sahne für’s Törtchen erneut. Also wirklich, seufzt sie, was daran so viel Zeit benötige, Schlagsahne einzufüllen. Und überhaupt, alles dauere hier so lange. Morgen müsse sie dringend mal wieder in die Innenstadt fahren, sie habe ja so viel zu erledigen. Und Inge, Inge müsse sie auch anrufen. Sie habe schon ewig nichts mehr von ihr gehört. „Wo bleibt denn jetzt nun mein Kuchen? Kann ich bitte noch einen zweiten Kaffee haben“ Der erste sei ja jetzt schon ausgetrunken, ganz ohne Kuchen. Diese Kellner hätten das Arbeiten nun wirklich nicht erfunden. Dochdoch, das muss sie zwei Törtchen und drei Kaffee später beim Zahlen noch mal erwähnen. Die Zeit hat sie, während die Kellnerin das Wechselgeld bis auf den letzten Cent zusammensucht.
Mein eignes Leben kommt mir auf einmal erquicklich problemlos vor. Vielleicht sollte ich in Zukunft öfter darüber nachdenken, was schön war. Dieser Besuch bei Schmidt und Schmidtchen war’s.