Also für mich wäre das ja nix. Ich würde es schlicht nicht tun. Zu viel Schiss. Plötzlich zu viel Spucke im Mund, unsichere Knie und Gedankenkreisel im Kopf. Höhe kann ich nicht so wirklich gut.* Aber was wäre, wenn ich wirklich müsste? Weil die Alternative noch viel schlimmer ist als ein bisschen zu viel Speichel?
Menschen gehen unterschiedlich mit ihrer Angst um und dann auch wieder ganz ähnlich. Was genau ist eigentlich der Punkt, an dem manche ihre Angst überwinden und andere sich trauen, sich nicht zu trauen?
Maximilien Van Aertryck und Axel Danielson haben die Momente zwischen Mut, Angst und Entscheidung eingefangen in einer Art psychologischer Versuchsanordnung, die jeder sofort versteht: Ein Zehn-Meter-Turm im Hallenbad im Tageslicht, eine Kamera und Menschen, die die Leiter hinauf geklettert sind.
Per Anzeige hatten die beiden schwedischen Filmemacher nach Freiwilligen gesucht, die für umgerechnet 30 Dollar auf den Turm klettern.
Einige gehen entschlossenen Schrittes nach vorne nur um dann unmerklich zusammen zu sacken. Eine Frau geht zögerlich, zuletzt streckt sie nur noch den großen Zeh in Richtung Abgrund, sofort muss sie ein paar Schritte zurück treten und sich vornüber beugen.* Erst einmal Luft holen. Eine andere fächelt sich Luft zu. Es ist wohl doch ganz schön tief. Ein vielleicht zehn-jähriges Mädchen löst die Situation souverän. Sie schaut aus einiger Entfernung vage Richtung Wasser, atmet schwer und beschließt, okay, los jetzt. Dann läuft sie zur Absprungkante, löst sich vorsichtig und fliegt in die Tiefe. Geschafft. Etliche Jungs tänzeln vor und zurück, lockern die Muskeln, spannen sie vorzeigehalber an und trauen sich erst einmal nicht. Angespannte Unterhaltungen mit dem besten Freund. Vor und zurück müssen viele, gucken, wie tief es ist, fast springen, dann doch nicht, zurück zur sicheren Mitte, noch mal gucken, um dann … manchmal … zu springen.
Es ist faszinierend. Seitdem denke ich darüber nach: Was machen wir mit unserer Angst? Ducken wir uns weg, versuchen wir geradeaus darauf zuzugehen? Entschlossenen Schrittes vielleicht sogar oder eher zögerlich, fast wie gezwungen. Ist es überhaupt wichtig, wie man dabei aussieht? Interessant bei der Mutprobe am Zehnmeter Turm war, dass nicht unbedingt diejenigen mutig gesprungen sind, denen man es sofort zugetraut hätte, sondern oft die Anderen, die ängstlich wirkten, manchmal auch ein bisschen älter waren. Auf so einem Zehn-Meter-Turm ist klar was zu tun ist, springen oder nicht Dazwischen liegen Angst und Mut. Im echten Leben aber muss ich erst mal erkennen, welche Situation ein Zehn-Meter-Turm ist.** Und was eine mutige Reaktion darauf wäre.
In den USA zum Beispiel stellen immer mehr Psychologen öffentlich fest, Herr Trump habe ein behandlungswürdiges Problem mit seiner Wahrnehmung. Ist das mutig? Offen zu sagen, wenn jemand offensichtlich ein psychisches Problem hat, auch wenn man gerade nicht in der Position ist, etwas daran zu ändern? Oder wäre das Gegenteil eine schlaue Reaktion? Nichts zu sagen, aber sich Verbündete zu suchen und zu handeln. Was sollten wir hier in Deutschland tun? Ansprechen, wenn einer der so genannten neuen alternativen Politiker ein Problem mit den Realitäten hat? Sollten wir die Konfrontation suchen oder müssen wir das wichtige Gespräch mit ganz anderen Leuten führen. Und können einige Menschen auf Rednertribünen mit Wahrnehmungsproblemen getrost links liegen lassen. Ach wenn es doch nur immer so übersichtlich wäre wie auf einem Zehn-Meter-Turm.
Die Frau, die erst vorsichtig ihren großen Zeh in die hohe Luft halten musste, war übrigens ganz tapfer. Nachdem sie sich gesagt hatte, dass sie den Mut einfach nicht in sich hat und schon der ersten Stufen wieder nach unten geklettert war, ist sie doch noch gesprungen. Mit einer Haltung, die fast ein wenig gottergeben wirkte. Aber sie hat es getan.
*Im Hochseilgarten bin ich seinerzeit ganz mutig, äh, wieder runter geklettert. Der Blick von oben nach unten war mir auf Dauer zu anspruchsvoll.
** Nach der lästigen Männergrippe bin ich im Moment ja eher froh überhaupt weder auf den Beinen zu sein, herausfordernde Höhenlagen sind da nicht unbedingt nötig.
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