Nach der Nacht

ist vor der Spielzeit. Blöd an so einer Theaternacht, wie wir sie am 9. September in Hamburg hatten, ist ja, dass sie bloß auf dem Papier bunt und wild und voller Möglichkeiten aussieht. Beim Lesen des Programmheftes denke ich jedes Mal, oh toll, da müssen wir hin und da auch. Ach, dieses Stück hört sich gut an und das hier möchte ich aber auch sehen. Die meisten Sachen finden dann aber doch zu recht ähnlichen Zeiten statt. Das bedeutet, man kann eine erste Runde sehen, eine zweite und vielleicht noch eine dritte. Das war’s dann aber auch, dann ist es halb zwei oder so und die Nacht klingt bei der Abschlussparty aus. *

Hamburger Theaternacht

So habe ich bei dieser Theaternacht Thomas Niehaus und Paul Schröder dabei zugeschaut, wie sie sich am Sarg des Vaters als Brüder kennenlernen, trauern, lachen, messen. Dass es die Söhne des Odysseus sind, die um ihren Vater trauern, hätte ich daran erkennen können, dass ein großes, trauerumflortes Bild von Kirk Douglas hinter dem Sarg aufgehängt ist. Und Kirk hat in den Fünfzigern in Hollywood den Odysseus gespielt. War ich jetzt zu ungebildet für, aber Sie können es gerne besser wissen, wenn Sie sich die Odyssee, Eine Irrfahrt nach Homer anschauen. Tun Sie das im übrigen, ich fand das mal traurig-tragische, mal lustig-irre Kräftemessen dieser beiden nachgebliebenen Söhne gut.
Wo ich schon mal so schön im Schwung war, habe ich gleich für den nächsten Tag eine Karte für Tartuffe besorgt. Tartuffe, den Molière sich als katholischen Geistlichen dachte (der aber genauso gut ein Methodisten- oder sonst was Prediger aus den USA, ein Iman oder ein Guru sein könnte), hat sich bei Familie Orgon einquartiert. Die alte Frau Orgon und ihr Sohn vertrauen ihm blind, Schwiegertochter und Enkel schon weniger. Wenn er ihnen schmeichelt, sind auch sie gelegentlich in all ihrer Hohlheit nicht abgeneigt. Die Kostüme sind so grell-bunt und rüschig, wie die echten Siebziger wohl nie waren. Die ABBA-Songs, die allenthalben mit der Emotionalität einer Winke-Katze beim Karaoke-Singen geschmettert werden, passen erstaunlich gut zur Kritik am geistlichen Verführer und seinen leichtgläubigen Anhängern. Etwa wenn Töchterchen Mariane (Birte Schnöink) mit schwungvoller Föhnwelle ihrem Verlobten Valère gesteht, dass sie ihn nun wohl doch nicht heiraten wird, weil ihr Vater den vermeintlich frommen Tartuffe für sie auserkoren hat. Da geht ein emotionsloses „SOS“ von ABBA schon irgendwie gut.

Hamburger Kammerspiele

Zack und dann ging es schon auf neun Uhr zu, es wurde also Zeit für eine zweite Runde. Die Kammerspiele am Rotherbaum, geradewegs ins Schlaraffenland von Autor Philipp Löhle. Jacob Matschenz spielt den Sohn der wohlhabenden Klein-Familie, der irgendwann entdeckt, das hinter all den neuen Handy, Autos, Dienstleistungen tatsächlich Arbeit von Menschen steckt, die sich ihrerseits nicht ganz so viele Schönheitschirurgen, Putzfrauen und technische Spielzeuge leisten können. Kann man so machen, war mir dann aber irgendwie doch zu geradeaus erzählt. Wenn alles klar ist, gibt es eben auch keine zweite (oder dritte, oder vierte) Ebene, über die man nachdenken könnte.
Ach, es hätte noch so viel gegeben, was ich eigentlich hätte sehen wollen. Wie gut, das es nächstes Jahr wieder ein Theaternacht gibt, am 8. September 18. Nach der Nacht ist vor der Nacht. Besser noch: Vor den vielen Nächten der neuen Theatersaison.

  • Ein legendäres Mal habe ich vier Aufführungen gesehen, aber auch nur weil die „Steife Brise“ spät noch gespielt hat. So furios und toll, dass ihr Publikum sich nach jeder 20-minütigen Vorstellung geweigert hat, den Raum zu verlassen. Eigentlich hätte dann die erste Zuschauergruppe gehen sollen, damit die Nächsten rein können. Stattdessen haben sich immer mehr Leute in die Zuschauerreihen und an den Bühnenrand gequetscht. Am Ende, gegen drei Uhr nachts hatten die Schauspieler dann nur noch sehr wenig Platz zum Spielen übrig.
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