„The Benchers‘ luncheon-room at the Inner Temple. Light pours through the long windows upon polished table, silver, glass.“ So ein Roman-Anfang setzt den Takt und das Lebensgefühl für all das, was kommt. Jane Gardams Roman Old Filth entführt in die traditionsbewusste Welt der britischen Anwaltskammer: poliertes Holz, Silber(besteck) und Glas. Sofort habe ich ein Bild, eines in dem die ganze Welt des traditionsreichen Empires steckt. Einige Anwälte unterhalten sich beim Mittagsessen über einen der ihren. Sir Edward Feathers ist mit seinen maßgeschneiderte Anzügen und polierten Lederschuhen der Prototyp eines distinguierten Briten. Seinen beachtlichen Wohlstand hat er als Anwalt für Baurecht in Hongkong gemacht. Daher auch sein Spitzname Old Filth, was für, „failed in London, try Hongkong“ steht, wie uns die Autorin schon in der ersten Szene aus der kollegialen Plauderei der Anwälte beim Mittagessen heraushören lässt.
Zum Zeitpunkt des Mittagessens unter Anwälten des Londoner Anwaltskammer Inner Temple* ist Feathers bereits im Ruhestand. Nach
dem Tod seiner Frau Betty, mit der er sich nach der Pensionierung ins beschauliche Dorset zurück gezogen hatte, beginnt der 80-Jährige eine gedankliche und tatsächliche Reise zu Orten seiner Kindheit. Die Geburt in der britischen Kolonie Malaya kostet seiner Mutter das Leben. Der Vater Beamter der britischen Kolonialverwaltung, traumatisiert vom Großen Krieg, den die Briten den ersten nennen, und Alkoholiker lässt das Kind die ersten Jahre von einer einheimischen Nanny und ihrer Familie betreuen, bevor er den Fünfjährigen nach England schickt. Der kleine Edward wird den Vater nie wiedersehen. Stattdessen lernt er im fremden England zwei entfernte Cousinen kennen, mit denen er gemeinsam zu einer Pflegefamilie nach Wales kommt. Es folgen Einsamkeit, Kälte und eine vage Komplizenschaft unter Kleinkindern. Später der klassische englische Bildungsweg mit Internat, Sport, bestem Kumpel und Schulferien in der Familie desselben. Beide, Internat und Freund, bieten eine Art Ersatzfamilie. Der Vater will den Sohn zu Beginn des zweiten Weltkrieges zu sich nach Malaysia in die vermeintliche Sicherheit holen. Doch die Kolonie fällt unter japanische Herrschaft bevor das Schiff den Hafen erreicht. Der Vater wird den zweiten Weltkrieg nicht überleben, der Sohn gerade so. Nach dem Krieg studiert der junge Edward Jura in Oxford, wird Kronanwalt, geht in den aus der Kindheit vertrauten fernen Osten, wird Anwalt für Baurecht in Hongkong. Er heiratet Betty, eine Schottin, auch eine so genannte Raj-Waise. In Peking geboren wird auch sie als Kleinkind zur Erziehung nach Großbritannien geschickt.
Beide führen ein ebenso höfliches wie wohlhabendes Leben. Eines, in dem sie sich vor den Abgründen, dem Schmutz des Lebens mit Haltung vollendeten Manieren und ebenso gelegentlichem wie entschlossenen nicht zur-Kenntnis-Nehmen begegnen. Filth im englischen bedeutet Schmutz. Das dear old filth, wie er als alter Mann gelegentlich liebevoll spöttisch genannt wird, nicht nur in seinem Berufs-Leben davon mehr gesehen und erfahren hat, als ihm lieb sein kann, bröckelt nach und nach aus den Details dieser freundlich dahin geplauderten Geschichte.
Lesen Sie das. Unbedingt, es ist ein großartiges Buch. Es ist vollig egal, dass Sie den Plot nun in groben Zügen kennen. Die Kunst steckt in den Details. Nie lässt Jane Gardam uns wissen, wie wir urteilen sollen. Aber wie sie Bettys Dinner-Einladungen am Rosenholztisch beschreibt. Wie Mrs. Feathers die kleine Glocke läutet um eines der dauerhaft lächelnden chinesischen Dienstmädchen zum Abräumen des Tisches zu rufen. Wie Sir Edward sorgfältig gelbe Seidensocken von Harrods und chinesische Maßanzüge in seinen Koffer packt oder er seine Frau in jungen Jahren beim Handel auf dem Straßenmarkt beobachtet.
„Her passion for jewelry was Chinese and her strong Scottish fingers rattled the trays of jade in the street market of Kowloon, stirring the stones like pebbles on a beach.“
In all dem Wie steckt steckt die ganze Welt des britischen Empire, so wie langsam untergeht. Das ist große Kunst. Sollten sie die lieber auf Deutsch lesen wollen, machen Sie das. Isabel Bogdan hat für sie übersetzt und wenn ihr das so prima, leicht und unterhaltsam gelungen ist wie ihr Blog**, dann ist Ein untadeliger Mann, so der deutsche Titel, ein wunderbarer Roman geworden. Nur jetzt eben ein deutscher, der vom britischen Weltreich erzählt.