Das erste Advents-Wochenende lief hier bei uns nicht ganz so rund. Der WLAN-Router verweigerte zwischendurch den Dienst, (Deshalb keine neue Blog Post.), wegen einer Bindehautentzündung tränten die Augen – romantisch-besinnlich geht anders. Dabei hatte ich mir alles so nett gedacht, hatte mir warmen Kerzenschein vorgestellt, den Duft von Orangen und Nelken und die wohlige Aussicht auf eine ganze Reihe gemütlicher Nachmittage bis Weihnachten.
An jedem der vier Advents-Sonntage soll es eine besondere Veranstaltung geben, die gerne kopiert werden darf. (Service-Blog, bitteschön – gerne geschehen.) Den erste Advents-Sonntag haben wir
für eine Büchertauschparty genutzt. Schon lange hatten wir die Idee in unseren Köpfen bewegt, eine Art literarischen Salon zu veranstalten. Ein paar Freunde, jeden Monat ein neues Thema, einen neuen Roman. Man trifft sich, plaudert schlau daher und entwickelt vielleicht ganz neue Ideen, die sich im Alltagstrott sonst nicht einstellen wollen. Wir sahen uns quasi schon in der Nachfolge der Madame de Staël. Allein der Alltag verhindert auch ziemlich erfolgreich, dass wir alle brav das selbe viele hundert Seiten lange Buch zum vereinbarten Zeitpunkt hin lesen. Den Rest, Dinge wie Weintrinken und nonchalantes Verkünden von Bonmots, hätten wir selbstverständlich hinbekommen, dachten wir.
Büchertauschparty
Also habe ich kurzerhand beschlossen, ein neues Konzept muss her, eines, das auch zu uns und unserem Leben gerade passt: Die Büchertauschparty. Die Regeln sind denkbar einfach: Jeder Gast bringt ein Buch mit, das er gerne gelesen hat. Diese Person sollte erstens in der Lage sein, ein paar erhellende Dinge zur Geschichte sagen zu können. Wovon handelt die Geschichte? (Was passiert?) Wo spielt sie? Handelt es sich um einen besonderen Sprachstil? Was habe ich an der Geschichte besonders gemocht? Was weniger? Außerdem muss die bücherverschenkende Person es schaffen, sich von dem betreffenden Buch zu trennen. (Zur Not, also in meinem bücherverliebten, Regal-ausufernden Fall muss sie das Buch einfach noch mal kaufen. Das nützt dann nix.)
Gesagt, getan
Der Rest ist ganz einfach. Ich habe in meinem Lieblingsweinladen zwei Flaschen Wein gekauft, einen Rotwein, der nach dunklen Beeren und ein wenig cremig schmecken sollte, sowie einen etwas fruchtigeren Weißwein, verschiedene Käsesorten, sehr leckeres Brot (Baguette, frisches duftendes Graubrot vom Biobäcker und Pumpernickel), kleine Ziegenkäsetörtchen gebacken und am Abend vorher noch schnell Mousse au chocolat gemacht.
Ach ja und natürlich habe ich einen längeren Augenblick sinnierend vor meinem Bücherregal gestanden. Schließlich habe ich mich für Joachim Meyerhoffs Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke entschieden. In einem Interview hatte ich Joachim Meyerhoff durchgeknallt unterhaltsam gefunden. So wie er vom bildungsbürgerlichen Nymphenburger Wohnzimmer seiner Großeltern erzählte, vom rosafarbenen Gästezimmer, von den Anfechtungen als junger, unsicherer Schauspielschüler – das alles war recht komisch. Außerdem sind seine Lesungen, die er in Wien an der Burg und in Hamburg am Schauspielhaus veranstaltet, immer ausverkauft. Wenn ich ihm schon nicht zuhören kann, wollte ich ihn lesen. In vielen kleinen Episoden erzählt Meyerhoff von anregenden Diskussionen im großelterlichen Wohnzimmer, morgendlichem Champagner und abendlichen Whiskey, von Schauspielübungen und neuen Freunden, die sich bald in alle Winkel der Republik zerstreuen werden. Das ist durchaus unterhaltsam, streckenweise mir als Leserin aber auch ein wenig peinlich. Die seitenlange Beschreibung beispielsweise eines Buchdiebstahls, den der Student erst lange andenkt, dann durchführt und hinterher bereut, hat mich fertig gemacht. Die nachgezeichneten Unterhaltungen mit dem Großvater, der als emeritierter Philosophie-Professor klug das Leben bedenkt, der Kontrast zwischen 60er-Jahre Plüsch in Nymphenburg und dem abgeranzten Charme der Schauspielschule haben mich in den besseren Momenten in eine völlig andere Welt mitgenommen. Mit dem Buch kann ich auf unserer ersten Büchertauschparty ein bisschen was erzählen. Ich kann aber auch gut damit leben, wenn die Lücke von nun an in einem anderen Regal residiert. Ein zweites Mal muss ich die Geschichten nicht lesen. Aber vielleicht kann ich mit der Tauschpartnerin mal in eine Meyerhoff’sche Lesung gehen.
Meinen Meyerhoff habe ich eingetauscht gegen Siri Hustvedt, Der Sommer ohne Männer. Nachdem ich Frau Hustvedt seit meiner Paul Auster Phase auf dem Schirm habe ohne je etwas von ihr gelesen zu haben, freue ich mich drauf. Christine hatte warmherzig von der Geschichte einer Frau erzählt, die sich krisenbedingt (der Gatte hat sich eine jüngere Geliebte zugelegt) aufs Land zurückzieht um dort Zeit mit ihrer 90-jährigen Mutter und einer Gruppe Teenager-Mädchen zu verbringen. Natürlich kann ich noch nichts Abschließendes zum Roman sagen. Aber der Anfang ist großartig: „Eine Weile nachdem er das Wort Pause ausgesprochen hatte, drehte ich durch und landete im Krankenhaus. Er sagte nicht: Ich will dich nie wiedersehen, oder: Es ist aus, doch nach dreißig Jahren Ehe reichte Pause, um aus mir eine Geisteskranke zu machen, in deren Hirn die Gedanken platzten, wild herumfuhrwerkten und voneinander abprallen wie Popcorn in einer Mikrowellentüte.“
Nicht eingetauscht habe ich The Boys in the Boat: Nine Americans and Their Epic Quest for Gold at the 1936 Berlin Olympics von Daniel James Brown. Obwohl mich die Geschichte von neun Jungs aus ärmeren Verhältnissen, die sich mit ihrer Washingtoner Rudermannschaft in den Auswahlrennen gegen viel renommierte Unis durchsetzen und schließlich bei den olympischen Spielen in Hitlers Deutschland antreten, auch interessiert hätte.
Eigentlich habe ich selten Mangel an neuen Lese-Ideen. Aber so eine Buchparty ist erstens eine prima Ausrede für einen Nachmittag/ Abend mit ein paar Freunden. Und zweitens und vor allem öffnet sie mir den Blick für Bücher, die schon etwas länger auf dem Markt sind und die mir anders wohl nicht mehr aufgefallen wären.