„So ist das, später wird man in dieser Stadt gewohnt haben, wird durch die Straßen gegangen sein, wird sich am Ende der Fluchten befunden haben, wird die Gebäude und die Menschen kennen gelernt haben. Wenn man in dieser Stadt gelebt hat, wird man zehn, zwanzig, tausend Mal durch diese Straßen gegangen sein.“, denkt Xavier der Pariser Student aus der „L’Auberge Espagnole“, als er das erste Mal durch Barcelona läuft. Stimmt, am Anfang ist alles fremd, größer, großstädtischer, fremder, enger, kleingassiger. – Auch in Bordeaux. Ich stelle mir in fremden Städten oft vor, wie es wäre, hier zu leben. Wenn zum Beispiel diese Straßenecke mit dem runden vorgebeugten Balkon auf meinem täglichen Weg zur Arbeit läge. Wäre das nicht schön? Wahrscheinlich würde ich dann mit Karacho auf dem Fahrrad hier entlang flitzen, immer mit ein bisschen Schiss, dass es mich auf dem glatten Kopfsteinpflaster zerlegt, aber es wäre nun mal der kürzeste Weg.
Es gibt, glaube ich, zwei grundsätzlich verschiedene Arten eine fremde Stadt zu erleben: besichtigen und treiben lassen. Beides muss sich nicht ausschließen. Natürlich, besichtigt die Kathedrale St. André, den Place de la Victoire, die Porte Cailhau, das große Theater, die Cours mit ihren herrschaftlichen Bürgerhäusern. Kann man alles machen. Lernt ein bisschen was über die Geschichte der römischen Siedlung, der reichen Stadt der Überseehändler, die ihr Geld mit Sklaven-, Zucker und Baumwollhandel machten. Doch, doch, sollte man sich ansehen. Mache ich alles auch.
Fast noch lieber laufe ich durch kleine und große Straßen ohne immer ganz genau zu wissen, wo ich bin. Hier eine Wohnung zu sehen, in der ich vielleicht wohnen möchte, dort ein Café zu entdecken, das mein Stammcafé werden könnte. Würde ich in St. Pierre wohnen wollen? Das ein bisschen so wirkt wie die Hamburger Schanze, oder das belgische Viertel in Köln oder der Prenzlauer Berg. Vielleicht stimmt das mit der Ähnlichkeit aber auch gar nicht. Klar, hier wie dort gibt es die üblichen Verdächtigen aus kleinen Bars und Cafés, Start-ups, Läden junger Designer plus ein paar groß und teuer gewordener Couturiers. Aber die französischen Schrammel-Läden haben trotzdem einen anderen Stil als die Hamburger Kneipen, die Designer machen zwar auch lustige Bändchen, beeindruckend teure Taschen und Sweatshirts, aber sie haben trotzdem ein anderes Flair.
Nein, vielleicht möchte ich lieber ein paar Straßen weiter in Capucins-Saint Michel wohnen, wo es unspektakulärer wirkt, mehr kleine Gemüseläden und schlichte Gebäude ohne die obligatorische Eckkneipe gibt. Oder würde ich es in einem der edel aufgehübschten Bürgerhäuser aus dem 19. Jahrhundert aushalten? Ich hätte dann einen richtigen Salon mit weißlackierten Kassettentüren vielleicht. Dann müsste ich unbedingt ein Louis IV.- Sesselchen haben. Ein bisschen Barock gehört in so ein Ambiente. Ach und ich würde gelegentlich zu einem kleinen Abendessen einladen. Wir würden den Aperitif vor dem Kamin, ja einen Kamin muss man dann natürlich haben, nehmen, zum ersten Gang an den edlen alten Tisch wechseln. Ach, es wäre herrlich.
An manchen Ecken ist es gut, dass Großstädte sich immer ähnlicher werden. An der Ecke gleich beim Bahnhof zum Beispiel kann ich mir wie zu Hause ein Hamburg ein Leihfahrrad nehmen und damit die Stadt entdecken. Das Rad ist zwar ein bisschen rustikal, ein bisschen schwer und schwergängig, aber eilig habe ich es eh nicht. Mit einem schnelleren Rad hätte ich diesen Friseur bestimmt übersehen. Wie schade, dass ich gerade keine Haare schneiden lassen möchte. Wäre ein Erlebnis gewesen. Zum Ausgleich gehe ich Nudeln essen in dieser unspektakulären Pizzereria gegenüber dem Studentenwohnheim. Und so radel ich später durch die Nacht „nach Hause“ in mein Viertel St. Genès. Das Leben in fremden Städten kann so einfach sein.
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