Großstadtbegehung

Ich sollte das öfter tun: Spazieren gehen, einfach so durch die Gegend laufen. Ich kannte mal einen Architekten, der das als Hobby angab. Es war mehr oder weniger sein einziges Steckenpferd. Natürlich hatte er noch andere Dinge zu tun: Häuser planen, auf Baustellen den Fortgang des Baus begutachten, jeden Mittag mit seiner Frau essen gehen*, seine Kinder zum Sport, Musikunterricht und sonst was fahren, die Nachrichten schauen, Freunde einladen, solche Dinge eben. Aber als Hobby gab es Spaziergänge – sonst nichts. Er machte keinen Sport, spielte keine Instrument, las keine dicken Romane, er ging spazieren.

Pierre jedenfalls fiel mir heute Morgen ein,

als ich von einer Pressekonferenz kommend über den stillen Frühjahrs-Dom lief. Der Hamburger Dom, für diejenigen unter ihnen, die ihn nicht kennen, ist ein großer Jahrmarkt, der vier Mal im Jahr auf dem Heiligen Geist Feld abgehalten wird. (So wie in Münster der Send oder in München das Oktoberfest.) Morgens um elf ist die Welt auf dem Dom noch still wie auf einer Dorfstraße in der Provinz. Ein jeder geht seiner Wege, jede kümmert sich um ihre Besorgungen. Nur die Schilder schreien laut ihre Angebote in die besuchsfreie Welt.

Nebenan in der Rindermarkthalle entdeckte ich einen neuen Laden, dann brachte ich einen Brief zur Post (Einen! Nicht einen ganze Pack auf den letzten Drücker kurz bevor der Laden schließt.), schaute gänzlich ohne Kaufabsicht an ein, zwei Schaufenstern längs, trank einen Hipster-Kaffee und hatte ein paar Ideen. Im Sonnenschein fand ich mein Viertel seit langem mal wieder ausnehmend schön. Das mag daran liegen, dass ich bald umziehe und mein Viertel dann nicht mehr mein Viertel sein wird. So eine Art Entliebungs-Wehmut.

  • *Meine Eltern hätten derart regelmäßige Lokalbesuche für eine absolute Geldverschwendung gehalten. So fühlen sich besorgungslose Spaziergänge ein bisschen auch an.
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