Wie geht entlieben? Oder genauer: Wie entliebt man einen anderen Menschen? Liebe ist ein so schönes Gefühl, der Bauch hüpft freudig auf und ab, man bekommt immer wieder aus ungeklärter Ursache gute Laune. So richtig gute Laune. Man unternimmt Sachen, die man vorher nie getan hat und das macht auch noch Spaß. Tausende Pop-Songs erzählen davon.
Bloß was macht man, wenn sich jemand falsch verliebt hat? In falsche Versprechungen, in eine böse, menschenfeindliche Ideologie? Gerade höre ich schon die zweite Podcast-Serie über einen Jungen, der von Menschenfängern des radikalen Islamismus in den Terrorkrieg des IS geschickt wurde. Ein Satz hat sich in meinem Kopf verhakt: „Ich habe mich in den Islam verliebt.“, erzählt Harry ein junger Mann aus Bremen, der für den IS nach Syrien gegangen ist. Vielleicht ist es das, vielleicht ist es Verliebtheit, die aus netten, rotzfrechen, sich suchenden, pubertären, unsicheren, ach, was weiß ich, aus allen möglichen Menschen Monster macht, die andere foltern und umbringen oder die als Kanonenfutter in den Tod rennen? In fünf Teilen seines Podcasts erzählt der Journalist Philip Meinhold die Geschichte von Florent, einem Hamburger Teenager die Geschichte, wie aus dem Jungen mit Wurzeln in Kamerun und Leben in Hamburg Bilal wird. So nennt er sich mit seiner Radikalisierung. Es ist verstörend. Manches verstehe ich auf einmal neu. Etwa in dem Moment, wenn der Pfarrer, der den Jungen noch aus der Jugendarbeit und Gottesdiensten kennt, wenn der erzählt, Bilal hätte irgendwann diesen überlegen lächelnden Blick gehabt, den er auch von Sektenanhängern, Hare-Krishna-Jüngern oder Anhängern radikaler christlicher Sekten kenne. Und vieles verstehe ich trotzdem auch kein bisschen. Es sind die gleichen Fragen, die sich auch seine Mutter, seine Tante, seine Lehrer, Freunde stellen. Er muss schließlich gewusst haben, dass es dem islamischen Staat ums Töten von Menschen geht? Wie kann man das, Verliebtheit hin oder her, übersehen?
Nachhören lässt sich Florents Geschichte hier.
Eine ähnliche Geschichte aus Kanada hat die New York Times Reporterin Rukmini Callimachi schon im vergangenen Jahr erzählt. Im Podcast Caliphate folgt sie zunächst den Online Spuren eines islamistischen Kanadiers. Später trifft sie den jungern Mann aus eine moderat muslimischen Familie mehrfach persönlich. Anders als der Hamburger Florent überlebt der Kanadier mit pakistanischen Wurzeln, der sich Abu Huzayfah nennt. In den zehn Folgen ihres Podcasts geht es stärker um das konkrete Geschäft des Einschüchterns, Schlagens, Folterns und Tötens im Inneren des Kaliphat. Wie ein Terrorsystem funktioniert ist nicht neu, aber trotzdem erschreckend. Ganz fürchterlich erschreckend. Nicht alle Details seiner Erzählung sind glaubhaft, vieles aber wohl schon. Etwa wenn Abu erzählt, wie sie geübt haben mit gezielten Messerstichen, die Eingeweide eines Menschen so zu verletzen, das er nicht mehr gerettet werden kann. Oder wenn er erzählt, wie er Menschen ausgepeitscht hat und was daran anstrengend war.
Seit diesen beiden Erzählungen vom Terror frage ich mich, was machen wir mit Sektenanhängern? Wie kann man ihnen dabei helfen, sich zu entlieben? Zumindest bei denen, die überlebt haben, müssen wir das wohl.
So krass das. Und dabei ist hier in Hamburg gerade Frühling. Zeit sich zu verlieben.