Leere Klassenzimmer

Wie wir den Unterricht aus der Ferne erfinden

Erfahrungen einer Lehrerin in Hamburg

Hier habe ich noch nicht oft darüber geschrieben, im Erstberuf bin ich Journalistin, im Zweitberuf Lehrerin. Oder war es anders herum? Je nach Auftrags- und Aufgabenlage ändert sich das immer mal wieder. Gerade beschäftigen mich wie so viele unsere leeren Klassen und vollen Kinderzimmer. Über meine ersten Erfahrungen mit virtuellem Unterricht habe ich kurz und knapp zusammen mit Kolleginnen und Kollegen für das Deutsche Schulportal geschrieben. Hier gibt es den ausführlichen Bericht.

Alles beginnt mit unserem Ski-Urlaub in Südtirol. Wir genossen leere Pisten, die Kinder kleine Gruppen in der Skischule. Am letzten Tag erreicht mich die Nachricht einer Kollegin, ob ich denn nach der Rückkehr aus einem Risikogebiet – Norditalien – wie gewohnt zu unterrichten gedenke?

In der Schule versteht erst einmal niemand das Problem. Solange ich gesund sei, solle ich kommen, schreibt der Schulleiter. Dann geht es Schlag auf Schlag. Am Freitag vor Schulbeginn ordnet die Behörde in Hamburg an, Schulen und Kitas zu schließen. Ab Montag sind die Klassenzimmer genauso leer wie die Ski-Pisten in Italien. Und wir sitzen mit unseren Schülerinnen und Schülern im virtuellen Klassenzimmer. Die ersten beiden Tage verbringe ich damit meine Fünftklässler telefonisch ausfindig zu machen. Wir bereiten Ihnen Wochen-Arbeitspläne vor, die sie mit Schulbüchern und Arbeitsblättern einzeln in der Schule abholen sollen. Längst nicht jede Familie hat einen Computer zu Hause und auch nicht alle eine eigene Email-Adresse. Hinter den Kulissen meines virtuellen Klassenzimmers rumpelt es ebenfalls. Unser Dokumenten-Austausch-Programm lässt mich nicht ins System, der E-Mail-Dienst schmeißt mich regelmäßig raus. Irgendwann kann ich den Oberstufenschülern ihre Arbeitspakete mit vorbereiteten PDFs, Linklisten und Prezi-Präsentation per Mail schicken. Die ersten beschweren sich abends um neun per Text-Nachricht, das sei alles viel zu viel. Ich schaue da gerade eine Serie und finde, das virtuelle Klassenzimmer muss erst morgens wieder geöffnet werden. Als erste Maßnahme vergebe ich Telefontermine. Morgens meldet sich Leon aus der Fünften. Ihm ist langweilig und außerdem hat er schon alle Aufgaben gemacht. Bei näherem Hinsehen gibt es doch noch so einiges zu bearbeiten. Zur Unterhaltung schicke ich ihm kleine Zeichentutorials. Die bekommt auch Mehmet, dessen Bücherpaket noch fehlt. Daraufhin erreichen mich Bilder von lustigen Waschbären. Ich revanchiere mich mit einem gezeichneten Elefanten, dessen Hals zu dick geraten ist. Aber, hey, wir wachsen alle mit unseren Aufgaben.

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