Verwunschen, verrückt!

Die Alster ist so leer wie ich sie noch nie gesehen habe. Die Krise fühlt sich verrückt an. Verrückt im Wortsinn. Unsere Realität ist ein wenig verrückt. Plätze, die eben noch voller Menschen waren, sind nun leer. Der Fokus hat sich verschoben, weg vom Außen, hin zum Innen. Wir bleiben öfter (immer?) in der Wohnung, gehen nur noch selten aus. Und wenn wir es doch tun, grüße ich viel mehr Leute als früher, oft mit einem verschmitzten Lächeln („Sie wissen schon, wir stecken gemeinsam in diesen Zeiten.“), insgesamt sehe ich dafür viel weniger von diesen Leuten in der Außenwelt. Gleichzeitig begegne ich ziemlich vielen Menschen. Per Videochat, Videokonferenz, Einzel-Telefonat und zum gemeinsamen abstandsvollen Spaziergang.

Was schön war

Am Sonntag hat ein Nachbar ein Hinterhofkonzert gegeben. Johnny Tune ist professioneller Musiker. Er sang Jazzklassiker mit warmer, tiefer Stimme zum Halbplayback, glaube ich, sehen konnten wir ihn aus unserer Ecke des Hinterhofs nicht. Zwischendurch erzählte er ein bisschen was. Das konnten wir von unserem Küchenfenster aus nicht richtig verstehen, aber seine Lieder, die konnten wir schon hören. Also tanzten wir in der Küche auf Socken.

Es bewegt uns

Ich mache im Moment relativ viel Sport. Wenn ich schon nicht mehr rauskomme aus dem Heimbüro, brauche ich Bewegung noch mehr als sonst. Also übe ich Yoga zu Hause. (Sie werden es schon sehen. Am Ende der Krise werde ich einen Handstand frei im Raum stehen können.) Jeden zweiten Tag laufe ich um die Alster. Abends fahren wir oft zum Pferd und ich reite ein bisschen. Als der Alltagsprinz letzten Herbst das Pferd ausgeliehen hat, war ich mehr als skeptisch. Immerhin kostet auch ein kostenlos über den Winter geliehenes Pferd noch eine hübsche Summe Geld. Es muss in einem Stall eingemietet und gefüttert werden, ab und an kommt die Tierärztin vorbei und der Hufschmied. Nahezu andauernd müssen wir hinfahren und es bewegen. Uff, ich sah Herausforderungen an allen Ecken. Das Kind war natürlich Feuer und Flamme, sie hatte das Pferd auf einem Strandausflug gerade geritten und war begeistert. Na klar schafft sie das, die paar Hausaufgaben macht sie direkt nach der Schule oder nach dem Reiten, alles kein Problem. Gelegentlich war es dann doch ziemlich herausfordernd, fast täglich zum Reitstall zu fahren. Aber jetzt wo so viele andere Sachen nicht mehr möglich sind, inklusive der Schule, finde ich es zunehmend schön, einen echten Grund zu haben raus zu fahren. Das Pferd muss schließlich bewegt werden. Oder anders, es ist auch verrückt: Wir müssen nicht mehr das Pferd bewegen, es bewegt uns.

Es geht uns gold

Wir haben unsere Jobs, können überwiegend im Heimbüro weiter arbeiten, sind gesund und videotelefonieren mit allen Lieben, was das Zeug hält. So oft wie zur Zeit, also so jeden Abend!, habe ich meine Geschwister und meine Mama seit Jahren nicht mehr gesehen. Auch andere Runden organisieren sich jetzt virtuell. Meine Rudermannschaft kann dienstags nicht mehr zusammen aufs Wasser und danach ein Bier trinken?, machen wir das dienstags jetzt eben online. Meine Freundinnen treffe ich neuerdings zum gemeinsamen Spazierengehen. – Mit Sicherheitsabstand, wir haben all die Hinweise und Empfehlungen auch gelesen.

Das bisschen Kwarantäne

Und ansonsten geht es uns gold. Ich habe neuerdings geradezu Freizeitstress bei all den tollen Onlineangeboten, die sich mir anbieten. Die Ärzte singen ein Liedchen zur Quarantäne.

Die Ebbphilharmonie lädt online zum Konzert.

Das Schauspielhaus lädt zu täglichen Gesprächen ein.

Das Guggenheim Museum lässt mich ins Archiv luschern.

Und diesen Tanz hier fand ich auch ganz bezaubernd.

Sie sehen, prokrastinieren im Heimbüro kann ich.

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