… und ein Tanzbeschluss. Im Moment fühlt sich die Vereinzelung überwiegend fröhlich an. Auch in normalen Zeiten arbeite ich tageweise im Heimbüro. Eine Zeitlang war ich sogar vollständig freiberuflich schaffend tätig. Ich kenne die Phasen der behaupteten Professionalität, der Verschlumpfung und der Rückeroberung der eigenen Würde aus früheren Lebensphasen. Nur, jetzt machen es irgendwie alle, der Alltagsprinz, das Kind, ich, meine Geschwister, alle Kolleginnen und Kollegen. Ein wenig seltsam fühlt sich das durchaus an. Vor allem für‘s Kind. Ich kenne das alles ja schon ein wenig länger.
Das Heimbüro
In der ersten Heimbüro Phase* fing es ganz ehrbar an. Die ersten Tage, die ich statt im Großraumbüro der Redaktion, am Schreibtisch im Wohnzimmer verbrachte, zog ich mir jeden Morgen einen Blazer an. Ich bildete mir ein, nur so sei ich in der Lage über mein Sofa, den vollen Wäscheständer und andere Begleiterscheinungen meines Haushalts hinweg zu sehen. Sogar ein Faxgerät hatte ich mir gekauft, damit Redaktionen und PR-Agenturen mir Material schicken konnten. Dieses Gerät unterstützte mich sehr in dem Gefühl nun ein echtes, eigenes, kleines Redaktions-Büro zu führen, war ansonsten aber die sinnloseste Anschaffung ever. Die meisten Anfragen und Materialien wurden auch damals schon per Email geschickt. In einem fließenden Übergang glitt die Blazer-Phase in die Phase der Sportbekleidung.
Manchmal bekomme ich gegen 17 Uhr noch mal einen Konzentrationsflash und kann dann bis 22 oder sogar 23 Uhr durcharbeiten. Um längere Artikel zu schreiben oder ein Problem zu durchdenken, ist das eigentlich eine ganz gute Zeit. Weniger Leute rufen an und wollen irgendwas beantwortet haben, der Postbote klingelt nicht mehr an der Tür. Eigentlich ist genau das toll am selbstverantwortlichen Arbeiten. Ohne Kollegen, die auf dem Weg von der Kaffeemaschine mal kurz vorbei schauen, bin ich konzentrierter und schaffe mehr. Bloß, dass wir diese Kaffee- und andere Pausen auch brauchen. Mein Körper holt sie sich immer. Am Morgen danach geht alles ein bisschen langsamer los. Vielleicht schlafe ich ein klein wenig länger oder ich muss dringend an die frische Luft.
Also kam es vor, dass ich als erstes die Jogging-Klamotten angezogen habe. Da Joggen um neun nicht zum Rhythmus aller anderen Büros passt, habe ich trotzdem erst mal schnell in meine Mails geguckt und zack, ehe ich mich versah, saß ich doch am Schreibtisch, beantwortete dies und das, rief jemanden zurück, machte schnell was fertig. Bloß mit verstrubbelten Haaren und in Sportkleidung. Die Laufrunde begann dann ein wenig später, vielleicht so um elf. Nach dem Sport zog ich trotzig meinen Blazer wieder an. Wenn dann keiner mehr anrief, fühlte ich mich in voller Arbeitsmontur zunehmend etwas albern. Wem machte ich hier eigentlich etwas vor? Also ließ ich das nach und nach sein. Schlüpfte morgens schnell in eine bequeme Jogginghose und ein T-Shirt. So schlumpfte ich durch die Wohnung. Nur noch für Pressetermine, Treffen in Redaktionen und Verabredungen mit Kolleginnen zog ich mich „ordentlich“ an. Das hatte zur Folge, dass ich kurzfristige Verabredungen nicht mehr treffen konnte. „Wollen wir uns in einer Stunde auf einen Kaffee treffen um das Projekt zu besprechen?“ NEIN. Erst musste ich die Haare waschen und föhnen, ich musste mir dringend was Ordentliches anziehen und mich schminken. Zwei, drei Stunden Vorlauf wollte ich schon gerne haben. Irgendwie war das keine Dauerlösung. Fließend kam ich zur Rückeroberung meiner textilen Würde. Genau genommen habe ich nie in einem Beruf gearbeitet, in dem Blazer und andere formale Bürokleidung zum guten Ton gehören. In Redaktionen, Universitäten und Schulen tragen das vielleicht die Chefinnen und Chefs, alle anderen sind sich modisch selbst überlassen. Es gab also einen Weg zwischen den Extremen.
Inzwischen trage ich oft Kleider. Die einfachste Art sehr schnell vollständig angezogen zu sein, wenn Sie mich fragen. Oder eine dunkelblaue Jeans und ein gestreiftes Shirt, beides in der ordentlichen Variante. So kann ich auch jeden beruflichen Termin wahrnehmen.
Obwohl ich das alles also kenne und tageweise ja schon immer von zu Hause aus arbeite, seit letzter Woche fühlt es sich seltsam verrückt an. Alle anderen, der Alltagsprinz, das Kind, sind ja auch zu Hause. In jedem Telefonat mit der Außenwelt sprechen wir neuerdings darüber.
Tanzbeschluss
Uns geht es eigentlich noch ganz gold in diesen Zeiten von Corinna, wie wir das Virus gelegentlich nennen. Unseren Bedarf an guter Laune müssen wir zur Zeit ja alle allein zu Hause decken. Der Alltagsprinz und ich können das inzwischen ganz gut. Wir eskalieren unsere Kochkünste täglich. Es gab schon Maultaschen mit Bratkartoffeln in leckerer Sahnesoße, Rindfleischbrühe, aufwändige Salate und Käsekuchen, sehr viel Käsekuchen. So viel, dass wir Ole vom Reithof welchen vorbeigebracht haben. Der hatte uns letzte Woche eine Extrabox fürs Pferd gebaut, die Arme musste auf Anweisung der Tierärztin wegen Atemproblemen ein paar Tage vom Stroh isoliert werden. Gestern durfte sie zum ersten Mal wieder so richtig raus. Also ohne strenge Tierärztin und ohne Strick am Halfter. Wir haben Sie auf dem Freiplatz laufen lassen. Zu schade, dass ich da nicht ans Filmen gedacht habe. Wie so‘ne Leichtathletin hat sie jeweils auf der langen Bahn Anlauf genommen um in Maximalgeschwindigkeit zu galoppieren und Kapriolen in die Luft zu springen. Vor dem winzigen Zaun in Knöchelhöhe hat sie immer gebremst und den Sand in einer frischen Wolke aufwirbeln lassen. Anschließend trabte sie mit stolz empor gerecktem Hals an uns vorbei. Das hat sie ein paar Mal wiederholt. Am Schluss ist sie zum äußersten Ende des Rechtecks getrabt, hat laut ihren Kumpels im Offenstall zu gewiehert. Hört, was ich hier Tolles mache. Und ist zu uns zum Kuscheln gekommen. Es konnte einem das Herz aufgehen. Wir haben daher jetzt auch einen Tanzbeschluss gefasst. Was das Pferd kann, schaffen wir auch. Jeden Abend darf jetzt eine,r von uns bestimmen, zu welchem Lied getanzt wird. Das haben wir schon mal so gemacht. Eine Zeitlang haben das Kind und der Alltagsprinz immer abwechselnd zu einem Lied ihrer Wahl getanzt und gesungen. Ich war die Schiedsrichterin, die wie bei einer Eislaufkür Noten für Interpretation und künstlerischen Ausdruck beim Tanzen vergeben hat. Das Kind hat ein bisschen öfter gewonnen. Sie ist einfach eleganter und lässiger in den Bewegungen als ihr alter Papa.
Müssten wir uns nicht gerade Sorgen um sie machen, es könnte alles so schön sein. Aber sie steht so stark unter Druck. Sich emotional um einen seelisch bedürftigen Menschen kümmern zu müssen, ist für eine Elfjährige eine heftige Herausforderung. Eigentlich zu viel für ein Kind. Gleich drei Mal zu viel, wenn wir alle wie jetzt gerade auf uns selbst zurück geworfen sind. Zum Glück sind zumindest wir Drei körperlich und geistig gesund und können noch tanzen.