Was schön ist
Die Luft riecht im manchen Momenten schon ein wenig nach Herbst. Ganz angenehm nach Tagen, in denen die Hitze in der Wohnung stand. Wir waren rudern, die Sonne schien und wir sind trotzdem nicht weggeschwommen im eigenen Schweiß, wie noch vor ein paar Wochenenden. Schön.
Außerdem macht Wohnen etwas mehr Spaß, wenn der Ventilator nicht die ganze Zeit laufen muss. Ich kann wieder entspannt auf dem Sofa liegen, das Internet leer lesen und bloggen. (Das hat nach Wochen Monaten der Pause was Erfrischendes.) Jedenfalls wenn ich es schaffe das gute Wetter da draußen mit all seinen Möglichkeiten zu ignorieren. Geht aber.
Fahrradstadt
Und so lese ich vom niederländischen Groningen*, das seit Jahrzehnten Fahrradstadt und dadurch deutlich weniger Autostadt ist. Man kann dort mit dem Auto wohl nicht einfach quer durch das Stadtzentrum fahren. Die vielen Einbahnstraßen verhindern das. Die meisten Groninger nutzen ihr Fahrrad als Verkehrsmittel. Ich erinnere mich noch gut an den Kulturschock, den ich hatte, als ich aus der Fahrradstadt Münster nach Frankfurt am Main gezogen war. So en Verkehrskonzept wäre auch in Hamburg was Feines. Gestern haben wir ein Elektro-Rad probehalber gefahren. Das Van Moof sieht ungemein stylisch aus, fährt sich angenehm und der fast unsichtbar verbaute Elektromotor hilft unauffällig etwas nach, wenn ich den Hang hinauf will. Vielleicht wäre das eine gute Alternative. Die 20 Kilometer lange Pendelstrecke fahre ich bisher mit dem Auto oder mit der S-Bahn und dem kleinen Brompton, das als Gepäckstück zu jeder Tageszeit mit in die Bahn darf. Der Stau um die vielen Baustellen, die wir zur Zeit haben, ist nervig. Autofahren verstopft und verlärmt außerdem meinen Lebensraum. S-Bahn-Fahren mit Gesichtsmaske ist auch nervig.
Die Innenstadt neu denken
Mitten in meiner provinzlichen Heimatstadt stand früher ein Kaufhaus. Samstags gingen wir in die Stadt einkaufen. Wir liefen über den Markt und kauften Obst, Gemüse und Ahle Worscht für die kommende Woche. Dies und Das wurde erledigt. Und meist flanierten wir auch durch das Karstadt in der Fußgängerzone. Wir Kinder bekamen dort die Jeans in der nächst größeren Größe, wenn wir aus der alten Hose rausgewachsen waren. Im Sommer gingen wir am Ende des Einkaufsbummels fast immer in die Eisdiele gegenüber des Rathauses, an Herbst war es dann das Café, wo sich alle trafen. So gegen ein Uhr mittags trudelten die Freunde meiner Eltern mit ihren Kindern auch dort ein. Manchmal wurde das Zusammensitzen noch in die Pizzeria nebenan verlegt.
Das Karstadt jedenfalls gibt es schon einige Jahre nicht mehr. Es wurde wie viele Häuser in kleineren Städten während der ersten Schließungsrunde geschlossen. Eine Weile stand es leer, dann wurde umgebaut. Heute nennt sich das Haus Schlossgalerie und beherbergt einige Einzelhandelsgeschäfte. Genau jene Einzelhänder, die bei Eröffnung des Kaufhauses Ende den 60er Jahre die Konkurrenz fürchteten und das Haus auf keinen Fall in ihrer kleinen Einkaufszone haben wollte, erzählt meine Mutter. Genau jene Einzelhändler oder vielmehr ihre Nachfolger taten nun viel dafür, das Haus als Magnet für Besucher zu erhalten.
In den Sommerferien waren wir in Aurich. Da sah die Innenstadt noch unbenutzter aus als in meiner Heimatstadt. Auch hier stand ein ehemaliges Modehaus. Das Haus in Aurich war nicht renoviert. Lediglich die Warenregale waren ausgeräumt worden. Nun diente es als Malschule und lokales Kunstzentrum. Das kleine Haushaltswarengeschäft nebenan, hatte extra ein Schild ins Fenster gehängt: „Wir sind kein Museum.“ Es tut mir übrigens immer noch ein wenig leid, dass wir nicht mehr zu den Öffnungszeiten des Geschäfts noch einmal in der Auricher Innenstadt waren um die Nacken-Wärmflasche zu kaufen.** In Oldenburg und in anderen Orten fangen die Leute an, darüber nachzudenken, wie die Innenstadt nach der (übrigens historisch betrachtet: relativ kurzen) Handels-Hochphase aussehen kann.
Den sozialen Treffpunkt, den Ort, wo ich absichtslos Bekannte und Freunde treffe, den möchte ich auch heute noch. Ich muss das nicht unbedingt mit einem Hosenkauf verbinden. Vielleicht tut es auch ein samstägliches Konzert einer Band auf dem Marktplatz oder eben der Gemüsemarkt. Vielleicht kann die Aufgabe als Magnet eine große Bibliothek mit sehr gutem W-Lan und breitem Medienangebot übernehmen. Hosen und andere Handelsgüter waren jedenfalls die kürzeste Zeit in unserer Geschichte ein Magnet der Innenstädte. Wenn ich mir alte Bilder von Städten anschaue, dann war da früher gar nicht in jedem Haus ein Geschäft, in denen man Dinge kaufen konnte. Vielleicht geht es also alles auch anders. Vielleicht hatten wir das schon mal und könnten es wieder so ähnlich haben. Und vielleicht bringt die Digitalisierung, die wir beim Einzelhandel gerade so sehr beklagen auch Vorteile, die strukturelle Nachteile der Provinz aufheben. Wenn ich nahezu jeden Artikel der globalen Warenwelt überhalb hinbestellen kann***, dann ich es vielleicht gar nicht mehr so wichtig im hippen Szeneviertel zu wohnen. Vielleicht ist es auch deshalb nicht mehr so wichtig, weil auch die Kultur – innovative Serien, Musik, Bücher Theater-Aufführungen – immer dezentraler zugänglich wird, als in früheren Jahrhunderten. Und möglicherweise werden auch die Innenstädte für Bewohner wieder zugänglicher, wenn nicht Einzelhandels-Riesen Mieten zahlen, mit der keine normale Familie mithalten kann. Vielleicht wird es sogar gut.
* Via Frau Nessy
** Jaja, ich weiß auch, dass es online Händler gibt, bei denen die sicherlich zu bestellen wäre.
*** Vielleicht werden all diese Pakete bald mit kleinen Drohnen aus der Luft geliefert. Oder von Fahrradkurieren.