Als kleines Mädchen, bekam Favel Parrett Angst vor dem Meer. Mit ihrer Familie überquerte sie den Bass Strait, eine Seestraße, die Südaustralien von Tasmanien trennt. Sie würden den Rest ihrer Kindheit auf der tasmanischen Seite bleiben. Der fünfjährigen Favel jedenfalls wurde auf der Fähre kreuzübel. Jahrelang wollte sie sich dem Wasser mit seinen Untiefen, Stürmen und Unwägbarkeiten nicht näher als nötig nähern. Gar nicht so einfach, wenn man auf einer relativ kleinen Insel mitten im Pazifik lebt.
Wann sie ihre Roman „Jenseits der Untiefen“ angefangen hat,
kann die australische Autorin Favel Parrett jetzt gut dreißig Jahre später nicht mehr so genau sagen. „So arbeite ich nicht“, erzählt sie. „Ich verfasse keinen Plot und schreibe nach einem festen Plan. Es sind eher bestimmte Stimmungen, über die ich nicht aufhören kann nachzudenken.“
Favels Tasmanien ist ein unwirtlicher Ort, viele junge Leute ziehen weg, sobald sich die Gelegenheit bietet. Zu wenig Jobs, zu wenig Zukunft auf der Insel. Zurück bleibt die Natur. An schönen Sommertagen können Strand und Hinterland ganz lieblich aussehen: Azurblaues Wasser, luftige Wattewölkchen, zartes Grün, hie und da ein bunter Blütenkopf. An anderen Tagen türmt sich in grauen Farben vor Schwarz ein Sturm auf dem Ozean auf. Nur ein paar Jahre hat Favel als Kind im Süden Tasmaniens gelebt, aber diese Jahre hatten es in sich.
Erst mit 25 Jahren, lernte die Australierin surfen. „Das ist keine Sache, die man einmal in der Woche tut. Man muss sich ganz darauf einlassen. Es braucht Zeit, bis man ein Gefühl dafür hat, wie eine Welle sich anhören muss, wie sie aussehen und sich anfühlen sollte, um die richtige zu sein“, erzählt Favel. Vor allem hat sie Respekt und Achtsamkeit vor dem Wetter gelernt, von nichts sind Surfer stärker abhängig. Heute liebt sie den Sport. Erst das Surfen hat ihr die Sprache für ihre Geschichte „Jenseits der Untiefen“ gegeben. Wörter für Wasserfarben und Strömungen. “Ich bin nicht das typische australische Surfergirl“, erzählt sie, „dafür ist es an meinem Strand zu kalt.“ Ihre Heimat Victoria im Süden Australiens hat keinen sonnigen Bondibeach. Aber wenn das Wetter es erlaubt, geht sie jeden Morgen gegen sechs an den Strand. Das frühe Surfen gibt ihr die richtige Energie für den Tag am Schreibtisch. Das Meer ist ein Gefühlskatalysator. Dann kann sie sich in den Moment hineinversetzen.
„Viele Morgende habe ich über die Mutter nachgedacht, diese eine Autofahrt und was für eine Stimmung über dem Ereignis liegt“, erzählt die Autorin. Aus diesem Moment entwickelte sie die Geschichte der drei Brüder Joe, Miles und Harry, die nach dem frühen Tod der Mutter beim Vater an der tasmanischen Küste aufwachsen. Gefangen im harten Leben der Muscheltaucher müssen die Jungs früh mit anpacken. Der älteste Bruder Joe hat nach einem Streit die Hütte der Familie verlassen. So gut er kann, versucht Miles auf den Jüngsten aufzupassen. Harry fürchtet die See fast noch mehr als den gewalttätigen Vater. Er sucht lieber am Strand nach Muscheln und anderen Meeresschätzen als zu surfen wie die älteren Brüder. Unglücklicherweise kann Miles nicht immer bei Harry sein.
So melancholisch manche Momente sind, wir dürfen uns Favel Parrett als glücklichen Menschen vorstellen. Mit Jenseits der Untiefen hat sie einen Erstling geschrieben, der uns mitnimmt auf eine Reise zu den Untiefen unserer Gefühle, den schönen wie den schlimmen. So traurig das gelegentlich sein kann, irgendwie macht es auch sehr glücklich.
P.S. Das Gespräch mit Favel habe ich vor ganz schön langer Zeit mal für Mare geführt. Nun darf ich es endlich auch hier veröffentlichen. Ich saß gerade auf der kleinen deutschen Insel Sylt um für das Buch zu recherchieren, Favel auf der großen Insel Australien. Sie schrieb auch schon wieder am nächsten Roman. Zwischendurch haben wir über Skype ausführlich über Bücher, Lieblingsstimmungen, das Surfen (ihr Sport) und das Rudern (meiner) philosphiert. Es war ein wunderbar inspirierendes Gespräch. Danke Favel.
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