Es ist das erste Mal, das ich etwas von Friedrich Ani gelesen habe. Über den Namen bin ich allerdings gelegentlich schon mal gestolpert, vorne ein älterer bebarteter Mann*, hinten ein kleines Mädchen mit dunkelblonden Haaren und roten Wangen vielleicht.
Aber natürlich geht es um den Autor von Ein namenloser Tag eigentlich gar nicht. Es geht um Jakob Franck.
Ein pensionierter, geschiedener Kriminalkommissar mit eher lockeren zwischenmenschlichen Verbindungen und Verbindlichkeiten. Jedenfalls bekommt der Kommissar gelegentlich mentalen Besuch alter Leichen. Menschen, deren Tod er in seiner aktiven Zeit untersucht hat und deren Angehörigen er die Nachricht ihres Todes überbringen musste. Knapp zwei Monate nach seiner Pensionierung bekommt Franck allerdings ganz konkreten Besuch von Ludwig Winther, dem Vater einer 17-jährigen Schülerin, die sich laut polizeilichem Untersuchungsbericht vor zwanzig Jahren im Park erhängt hat. Der Vater glaubt auch zwanzig Jahre später nicht daran und bittet Franck die näheren Umstände noch einmal zu untersuchen. Jakob Franck hat die Untersuchungen sofort wieder vor Augen, seinerzeit musste er der Mutter des Mädchens die Nachricht überbringen und stand ihr im wahrsten Sinne des Wortes stundenlang bei. Der ehemalige Kommissar macht sich daran die näheren Umstände des Falles noch einmal zu untersuchen. Er trifft alte Schulkameraden, Nachbarn, die Tante des Mädchens, spricht mit ihnen, denkt nach und hat dabei seine ganz eigene Methode entwickelt: »Gedankenfühligkeit« nennt er seine Art sich nachdenkend und nachfühlend in das Leben der Menschen einzutauchen.
Gedankengefühlig nimmt Friedrich Ani seine Lesern, äh, also mich in diesem Fall, mit in die Welt der Münchner Vorstadt. In dunkles Blaugrau gezeichnet von der Tragödie, in der diese Geschichte unweigerlich enden muss: Eine 17-Jährige baumelt leblos an einem Strick in einem Park, ihr Vater taumelt danach zerbrochen und einsam durch die Welt. Das alles wissen wir Leser fast von Anfang an. Dazwischen entfaltet sich eine Welt aus alltäglichen Kleinigkeiten, Apfelkuchen und Ausflügen mit der besten Freundin zum Shopping der Münchner Innenstadt, Schule und Kino, Arbeit und Abendessen mit der Familie. Am Ende weiß ich: „Dieses Mädchen hatte ihren Wortschatz verloren.“ Und ich weiß auch, wie das Unglück um den Mord/ Selbstmord sich wahrscheinlich zugetragen hat. Das ist befriedigender als ein offenes Ende. Glücklicher macht mich das als Leser natürlich nicht, dafür ist es zu blaugrau. Trotzdem gut das.
Die Geschichte nimmt mich mit. Ich habe sie in einem Rutsch durchgelesen. Vielleicht sollte ich mir die Fälle des Vermisstenfahnders Tabor Süden auch mal antun.
Das Buch wurde mir vom Verlag zur Verfügung gestellt. Ich schreibe nur über Bücher, die ich mir auch gekauft hätte und über die ich etwas Positives sagen kann.