Neuerdings höre ich wieder Radio. Damit hatte ich fast ganz aufgehört. Künstlich gut gelaunte Moderatoren gingen mir genauso auf die Nerven wie die allgegenwärtigen Jingles. Zum Glück ist das Radio zurück* und zwar mit alldem, was es mal großartig gemacht hat. Tollen intensiven Gesprächen, in denen nix wenig vom gesprochenen Wort ablenkt, eigenen Klangwelten, die mich wegtragen in andere Gegenden, zu anderen Menschen. Und das beste ist: Ich kann die ganze Welt hören. Nicht mehr bloß das Lokalradio. Bleibt die Herausforderung, einfach nur zuzuhören. Aus geheimnisvollen Gründen finde ich das total schwer, unwillkürlich fange ich nach einer Weile an, irgendetwas zu tun. Und dann bin ich versehentlich abgelenkt und verpasse ich das Beste und dann muss ich zurückspulen, bis ich denke, ach, das haste doch schon gehört und dann verpasse ich wieder …. Sie verstehen das Dilemma.
Zum Glück gehe ich seit einiger Zeit wieder öfter laufen und da sind Podcasts super. Hier meine aktuelle Lieblingsliste englischer Podcasts.
Geschichten über Geld
Planet Money. – Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts. Der amerikanische Podcast Planet Money erzählt und erklärt die Welt aus der Perspektive der Wirtschaft. Neulich habe ich gehört, wem wir die Plage der modernen Großraumbüros zu verdanken haben. Ein anderes Mal, was passiert, wenn ein Staat seine natürlichen Ressourcen verkauft. (Lesothos Wasser fließt fast vollständig nach Johannesburg, so dass das relativ regenreiche Bergland auf dem Trocknen liegt.)
Geschichten über die Liebe
Die New York Times hat aus einer ihrer beliebten Kolumnen gemeinsam mit dem Dienst WBUR und Boston’s NPR News Sender Geschichten zum Hören gemacht. Modern Love. Eigentlich sind es Reportagen über das Leben. Denn wenn man es mal zu Ende denkt, hat alles im Leben irgendwie mit Beziehungen zu tun, die wir mit anderen Menschen haben. Und die sind immer mit Emotionen verknüpft. Manche gehen gut aus, andere nicht so. Zum Beispiel die Geschichte von dem Mann, der schon als Jugendlicher in den Rollstuhl musste und nie geglaubt hätte, dass er gut genug für die Liebe wäre. Bis eine der Helferinnen vom Pflegedienst immer ein bisschen länger bleib, als sie gemusst hätte. Oder die Geschichte der Mutter und Ehefrau, deren Mann nach über 20 Jahren sagt ich liebe Dich nicht mehr und die sich entschließt ihren Mann an dieser entscheidenden Stelle nicht ernst zu nehmen. Die Geschichte wird jeweils von einem bekannten Schauspieler oder Moderator gelesen.* Und nach einer Werbepause (ja auch mit Podcasts wird Geld verdient, zumindest den amerikanischen.) gibt es dann immer noch einen Nachtrag, was aus den Akteuren der Geschichte in den vergangenen Jahren geworden ist. Wie gesagt: Manche Geschichten gehen gut weiter, andere eher nicht so.
Geschichten über das Leben
Wenn ich von der Sache mit der Liebe mal genug habe, dann höre ich beim nächsten Lauf eine Episode der New York Radio Hour an. Das sind einstündige Magazinsendungen, oft mit einem längeren Interview. So habe ich mir mal Jonathan Franzens Ansichten über Gott und die Welt im Allgemeinen sowie die Vogelwelt im Besonderen auf einem längeren Lauf angehört, Patti Smith hat von ihre Kindheit und Jugend erzählt. Dann gibt es oft noch ein Feature, zum Beispiel über den Vater eines Teenagers, die in Haarlem erschossen wurde und der sich seitdem für die Befriedung seiner Nachbarschaft einsetzt oder über ein italienisches Ecklokal, das in der soundsovielten Generation geführt wird. Eigentlich ist es egal, was es genau ist, solange es eine Geschichte ist, die mich an einen andern Ort zu spannenden Menschen mitnimmt. Und so bin ich eines frühen Abends bei Nieselregen über einen tristen Hamburger Spielplatz gelaufen und habe vor mir die rotweiß-karierten Tischdecken und leere Chianti-Flaschen mit aufgesetzten roten Kerzen gesehen, Italien gerochen und Brooklyn gehört. Seitdem gerate ich immer nach Brooklyn, wenn ich zufällig da wieder lang jogge.