Frühmorgens, wenn die Hitze noch in Wartestellung lauert, putzen die Männer der Stadtreinigung Siena mit ihren Wasserschläuchen und Besen sonntagsfein. Ich stolpere über die Nebenstraßen und schlage mir das rechte Knie ein bisschen auf. Alles für den perfekten Cappuccino. Seit den vergangen Tagen in Borgo San Felice und San Gimignano weiß ich: In Italien gibt es den nahezu überall. Welches Café ist gar nicht so wichtig. Morgens vor neun gehört Siena allerdings noch den Senesern und die haben wohl supergeheime Cafés, die mir nicht begegnen wollen. Die Straßen und Gässchen liegen erwartungsvoll im ersten Sonnenschein, allein ihre Cafés und Restaurants geben sich noch geschlossen. Endlich an der Piazza Giacomo Matteotti entdecke ich ein kleines Eiscafé, die Bar Pasticceria Nannini Posta.
Café Nannini
Dass die kleine Bar-/ Bistro-/ Eisdiele auch zur Kaffeehaus-Kette von Giannas Bruder Allessandro gehört, wird mir erst ein paar Tage später klar werden. Fürs Erste bin ich froh, endlich, endlich einen Ort entdeckt zu haben, der mich mit Koffein und Ruhe empfängt. Ich muss mir schließlich eine neue Absteige für die Nacht suchen. (Absteigen werde ich wohl nach den mondänen ersten Nächten im Doppelbett des Borgo San Felice.) Im Hintergrund röchelt die große Kaffeemaschine, während ich es mir mit dem ersten feinen Cappu gemütlich mache. (Natürlich sage ich jetzt auch immer Cappu, ich fühle mich nach ein paar Tagen Aufenthalt den Tagestouristen um Längen überlegen, fast schon wie eine Einheimische.) Unschlüssig durchstreife ich die einschlägigen Hotelportale und den Kartendienst nach der besten, schönsten, preisbewusstesten, am günstigsten gelegenen Unterkunft, auch die eierlegende Wollmilchsau genannt. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass zu viele Möglichkeiten nicht glücklicher machen. Optimal sind drei bis sechs Alternativen. Man hat den Eindruck sich entscheiden zu können, muss aber nicht dauernd Kriterien erfinden, die die Auswahl irgendwie handhabbar machen.* In Siena gibt es mehr als sechs Möglichkeiten zu übernachten, soviel steht fest. Aber das Tolle an diesem urlaubsbedingten Zustand des fortgesetzten Müßiggangs ist ja, dass ich Zeit habe. Es gibt nichts, was ich heute unbedingt erledigen muss, außer eine Unterkunft zu finden und irgendwann mal was zu essen, aber das werde ich schon irgendwie hinbekommen.
Spaziergang durch Siena
Spazierengehen ist so eine Tätigkeit, die mir im Alltag irgendwie nicht passiert. Im Urlaub ist sie perfekt, man schlendert so dezent ziellos durch die Gassen. Na gut, nicht ganz, schließlich möchte ich irgendwann an meiner Herberge ankommen. Das kleine Bed & Breakfast Le Camerine di Silvia will sich erst nicht von mir finden lassen. Ratlos stehe ich vor einem Privathaus, lauter italienische Namen auf dem Klingelschild, kein Hinweis nichts. Zum Glück schlendert auf der anderen Straßenseite zufällig ein Hotelangestellter im dunklen Anzug längs, der zeigt mir das winzige B vor einem der Familiennamen und verwahrt später mein Gepäck im benachbarten Hotel, als sich heraus stellt, dass die Rezeption des kleinen B & B erst gegen Abend besetzt sein wird.
Puuh, kurzzeitig dachte ich schon, ich sei einer betrügerischen Online-Masche aufgesessen. Aber nein, das Le Camerine di Silvia liegt gleich hinter der Stadtmauer Sienas, hat eine etwas heruntergekommen Privatgarten mit sehr pittoreskem Bänkchen und Ausblick in die Toskana sowie geblümte Zimmer zu eben diesem Garten. Das zweite B materialisiert sich im wesentlich in einem Wasserkocher, Tee- und Kaffeebeuteln und ein, zwei eingeschweißten süßen Gebäckteilchen. Wie gut, dass ich eh kein Frühstückstyp bin. Und die Sache mit dem perfekten Cappuccino wird sich morgen wohl finden lassen.
Bis es soweit ist das geblümte Doppelbett zu bewohnen und versonnen in den Garten zu schauen, spaziere ich noch einmal zwei, drei Runden kreuz und quer durch das mittelalterlich anmutende Siena. Sobald man die beiden Haupt-Touristen-Routen rund um die Piazza del Campo und den schwarz-weißen Dom verlässt, wirken die kleinen Gässchen erstaunlich still und verschlossen mit ihren hohen ockerfarbenen Ziegelmauern und verschlossenen Toren.
Flüchtige Bekanntschaften
Klischees haben die Eigenschaft, ein ganz klein bisschen zu stimmen. Man sagt den Italienern eine gewisse Flirtfreudigkeit nach. Die macht sich im Gespräch rechts und links des Weges immer mal wieder positiv bemerkbar. Der Eisverkäufer fragt mich, wie ich Italien finde, was ich schon gesehen habe und wo ich herkomme. Ein irgendjemand fragt mich nach der Uhrzeit und verwickelt mich danach in ein Gespräch. Wir gehen ein Stück zusammen, er zeigt mir hier eine jüdische Synagoge, dort den alten überdachten Markt, eine kleine Kirche in einer der Contradas. Im grauen Hamburg passiert mir das nie.
Abends komme ich mit Bert ins Gespräch der in derselben Pension wohnt wie ich. Der Belgier besucht eine der vielen Sprachschulen der Stadt um endlich mit seinen neuen Kollegen richtig sprechen zu können. Die Wochenenden nutzt er für Besichtigungen. In Varese, wo er seit einem dreiviertel Jahr lebt und arbeitet, kommt er zu nichts. Aber in der Toskana gibt es so viele hübsche, kleine Städtchen – Assisi, Luca, Volterra, so viele schlanke Zypressen, sanfte Hügel, Weinreben und ockerfarbenes Licht, dass man immerfort umher spazieren und alles weitgehend schön finden muss. Später gehen wir Pizza essen, der Kellner bereitet mit großer Geste den Tisch, stellt Chianti, Brot und später dampfende Pizza auf die rot-weiß karierte Tischdecke.
Der Dom von Siena
Aus allen möglichen Winkeln der Stadt habe ich schon Tage vorher die schwarz-weiße Cattedrale di Santa Maria Assunta entdeckt. Prächtig reckt sich die dreischiffige Kathedrale über die ockerfarbenen Ziegeldächer. Innen sieht das gotische Mittelschiff und die beiden flacheren Seitenschiffe, die prächtige Kuppel hoch über unseren Köpfen und der in graphische Mosaiken gelegte Boden noch prächtiger aus. Allein die vielen Touristen und ich, wir stören die stille Pracht und Herrlichkeit doch erheblich mit all unserem Getuschel, Gewusel, Geraschel und Geknipse. Von Zeit fordert uns eine tiefe Stimme aus dem Off auf, Ruhe zu bewahren. Es ist schließlich eine Kirche, auch wenn man sich bisweilen vorkommt wie auf dem Hauptbahnhof von, sagen wir, Florenz.
Dieses war der zweite Teil, doch der nächste folgt in Kürze.