Keine Zeit, nirgends. Das stimmt nicht ganz, Zeit wäre schon da. Zumindest diese Woche, allein, die Ruhe fehlt irgendwie. Es ist wieder Krieg in Europa und wir machen trotzdem weiter mit dem Alltag.
Ferien und Frust
In den vergangenen Ferien waren wir in Südtirol zum Skifahren. Wir haben uns mit den bezaubernden Nichten und Teilen der Familie getroffen. Zweieinhalb-Jährige wissen noch nichts vom Krieg. Vom Schlittenfahren auch nicht, zumindest bei letzterem konnten wir weiter helfen. Die beiden englisch-deutschen Mädels haben die aller-bezauberndste Art das deutsche Wörtchen „doch“ auszusprechen mit einem weichen deutschen Anfang und einem britischem „th“ am Ende. Nicht nur deswegen: Rodeln hat Spaß gemacht. Skifahren auch. Wir hatten fantastisches Wetter, die ganze Woche Sonnenschein und dank der Schneekanonen, die nachts stets zuverlässig nacharbeiteten, genauso fantastischen Schnee unter den Skiern. Gleichzeitig findet da draußen ein brutaler Vernichtungskrieg statt. Es macht mich fertig. Diese Gleichzeitigkeit von eigener Normalität und diesem Total-Ausfall derselben. Immer wieder musste ich im Handy nachlesen, was zuletzt in der Ukraine passiert war. Frust, Frust, Frust und dann wieder Sonnenschein.
Ich weiß, dieser Krieg in der Ukraine ist nicht der erste, der stattfindet, während ich Tee trinke und mich mit dem Leben beschäftige. Nicht bloß dem Überleben in Zeiten der Gefahr, sondern mit dem Leben, mit einkaufen, Freund:innen treffen, arbeiten, lesen, nachdenken, Abendbrot machen oder Sorgen , trotzdem Klavier spielen, all den Dingen, die in so einen Alltag gehören, also in meinen zumindest. Während wir uns im Sonnenschein mit Teilen der Familie aus Irland, England und Deutschland in den Alpen vergnügten, rief mich meine Freundin Charlotte aus Frankreich an, die wiederum von ihrem Cousin in den USA gebeten worden war, mich zu fragen, ob ich etwas für seinen irakischen Mitarbeiter tun könne, der aus der Ukraine fliehend in Deutschland gestrandet war. Wenn Sie jetzt etwas den Überblick verloren haben, wer aus welchem Teil der Welt sich in welchem anderenTeil der Welt aus welchen Gründen noch mal aufhielt und von wem wiederum Unterhaltung und/ oder Hilfe brauchte, dann liegt das nicht an Ihnen sondern nur daran, dass die Welt vernetzt und die Dinge kompliziert sind. Das ist einfach so, vermutlich müssen wir das so hin nehmen. So hielt der Krieg gegen die Ukraine ganz greifbaren Einzug in mein Leben, auch wenn mein Beitrag vergleichsweise einfach war. Alles was ich dafür tun musste, war im Lift meinen Jurist:innen-Freunden hinterher zu telefonieren und zu texten um eben jenem jungen Mann, der in Halle irgendwie versehentlich Asyl beantragt hatte, eigentlich aber auf dem Weg in die USA war, im Auftrag seine amerikanischen Firma einen Rechtsbeistand zu organisieren. Das war befriedigenderweise machbar.
Alltag und Angst
Zuhause in Hamburg hat uns der Alltag wieder eingeholt. Mit mehr Arbeit, mehr Alltag und gelegentlicher Angst wegen des russischen Angriffs-Krieges, der doch bedrohlich nahe kommt, als mir lieb ist. Diese Mischung führt übrigens zu erstaunlich wenig Blog Beiträgen, was ich bedauerlich finde, aber leider auch nicht ändern kann. Nebenher haben wir unser Gästezimmer und ein zweites Zimmer auf einer Plattform ukrainischen Flüchtlingen zur Unterkunft angeboten. Eine Familie mit drei Kindern war neulich zur Besichtigung da, fünf Leute mehr in der Wohnung als üblich machten mir heimlich Kopfzerbrechen, aber ist ja nun Krieg, dachte ich und gab die Kopfschmerzen nicht zu. Die Ukrainer hatten sie aber auch, zu fünft wollten sie doch nicht so gerne zu Gast sein und sagten schließlich ab. Vielleicht kommt nun stattdessen eine Mutter mit ihrem Kind. Vielleicht, bisher waren die beiden noch nicht zur Besichtigung da. Es bleibt kompliziert.
Zur Abwechslung waren wir am Wochenende rudern. Genauer zum Anrudern. Ruder:innen aller Hamburger Vereine rudern aus allen Richtungen zu einem Verein, der den Saisonstart ausrichtet. Dieses Jahr hatte die Rudervereinigung Bille eingeladen. Die liegt nun im Südosten Hamburgs und zwar so, dass wir im Angesicht der aktuellen Bautätigkeiten n den Kanälen ein kleines Stück über die Elbe rudern mussten. Das machen wir nicht allzu häufig, große Schiffe und kleine Motorboote machen mächtig Welle, die so ein Ruderboot kräftig ins Schaukeln bringen können. Bei kräftigem Wind, wie er für unsere Rückfahrt am Nachmittag angesagt war, kann das bedeuten, das eine Menge Wasser ins Boot schwappt. So schrecklich hoch gebaut ist so ein Ruderboot ja nun mal nicht. Wir schauten uns die Wettervorhersage an, wir beratschlagten frühmorgens, was wir tun sollten und entschieden zur Bille zu rudern. Es war nicht allzu windig, stärkeres Unwetter war erst ab nachmittags angesagt. Auf dem Hinweg würde uns die aktuelle Einbahnstraßenregel in den Kanälen der Speicherstadt noch keine Schwierigkeiten bereiten, wir müssten lediglich um die Kehrwiederspitze herum und später ein Stück über die Norderelbe rudern. Zur Not, beschlossen wir, zur Not würden wir die Boote an der Bille liegen lassen und mit der S-Bahn nach Hause fahren. Als der Rückweg anstand, hatte sich die Unwetter-Warnung weiter nach hinten verschoben. Wir entschlossen uns den Rückweg mit zu wagen. Ein bisschen rauher war der Wind durchaus, aber machbar. Das änderte ich als wir bei der Elbphilharmonie um die Ecke ruderten. Hui, ging es da rund. Die Wellen klatschten bedrohlich hoch gegen unser kleines Boot. Von allen Seiten kamen sie, brandeten gegen die erschreckend hohe Kaimauer unter der Elbphi und kamen quer zurück. Unsere Steuerfrau steuert uns stoisch mitten hindurch und wir versuchten mit jedem Ruderschlag Wasser zu erwischen, was angesichts des Geschaukels gar nicht mal so einfach war. Schon nach kurzer Zeit auf der offenen Elbe hatten wir keine Wahl mehr, wir mussten durch Wellentäler und Berge rudern. Zumindest sah es aus der Perspektive unseres winzigen Ruderbootes so aus, immer wieder drückte eine neue Welle unseren Bug bedrohlich in die Luft um anschließend auf dem Wasser aufzuklatschen. Von der Plaza der Philharmonie schauten Schaulustige auf unsere Nussschalen. Mir zitterten die Hände, wir ruderten trotzdem weiter, als ob nichts wäre. Zum Glück hielten die Abdeckungen vorne und hinten am Boot das meiste Wasser raus. Die halbe Stunde, die wir rund um die Elbphi brauchten kam mir vor wie eine Ewigkeit. Erst als wir die Boote auf der Rückseite vertäut hatten, gestanden wir uns beim Kaffee ein, dass wir doch alle ein wenig Angst gehabt hatten. Die ersten Held:innengeschichten entwickelten sich aus unseren Erzählungen. Ich möchte das nicht unbedingt für jedes Wochenende zur Nachahmung empfehlen, aber eines ist sicher: Aus dem Alltag holt es einen raus. Aber sowas von.