liegt die Provinz. Das habe ich schon in der Grundschule so gelernt. Gut, früher war sie bedeutend gewesen, meine Provinz: Handelsstädte lagen am Ufer bedeutender Wasserwege , einen Hafen und wichtigen Umschlagplatz für Waren gab es im benachbarten Wanfried. Meine Heimatstadt wurde im Mittelalter von König Otto, dem II seiner Ehefrau Theophannu aus dem fernen Byzanz als Altersversorgung geschenkt. So hat es unser Geschichtslehrer in der 5. Klasse erzählt. Byzanz das klang nach großer weiter Welt und kein bisschen nach unserem stinknormalen Klassenraum.
Später hatte ich das Gefühl, hier dringend weg zu müssen. Zu klein, zu provinziell, zu bekannt schien mir alles. Außerdem dachte ich, alle Jungs, die in Frage kämen, schon zu kennen. Entweder weil ich mich bereits in sie verliebt hatte und es a) nie geklappt hatte oder b) unglücklich geendet war oder c) sie nicht hübsch genug oder interessant genug schienen, um von mir in Betracht gezogen zu werden. Endlich eine Großstadt und das echte, aufregende Leben musste es sein. Gut, damit habe ich mich dann ein bisschen vertan. Erst einmal bin ich nach Münster in Westfalen gezogen und genauso wohlerzogen, wie es klingt, ist es dort auch. Von heute aus gesehen, scheint mir Münster hübsch beschaulich. Mit 20 wusste ich das noch nicht und fand das Unileben sowie die umliegenden Kneipen und Kleinkunst aufregend.
Inzwischen finde ich beschaulich und provinziell gar nicht mehr schlimm. Wenn ich zu Besuch bin, blicke ich liebevoll auf sanfte grüne Hügel, breite Flussauen und kleine rot- oder braun-weiße Fachwerkhäuser. Dann überlege ich, ob ich nicht hier wohnen sollte mit so viel mehr Platz und Weite. Gut, ich müsste auf das viel aufregendere Kulturangebot der Großstadt Hamburg verzichten, meinen Freundeskreis, den nahe gelegenen Flughafen und das Meer, das in zweifacher Ausführung fast um die Ecke liegt, aber dafür hätte ich … Ach, es ist kompliziert.
In der Mitte von diesem Gefühl bringt die Kampagne der regionalen Wirtschaftsförderung etwas zum Schwingen.
Wäre es nicht meine Provinz, vielleicht fände ich die Kampagne der regionalen Wirtschaftsförderung cheesy. Es klingt alles so wohlgemut, sieht alles so hübsch aus mit dem vielen Grün, kleinen Kopfsteinpflaster-Gassen und beschaulichen Fachwerkhäusern. Und das ist es ja alles auch, beschaulich und hübsch, meine ich. Dass das auch ein bisschen verschlafen und das glatte Gegenteil von hipp, jung und Aufbruch ist, ahnt man bloß. Andererseits, wer wenn nicht wir sollte den Aufbruch wagen? Also doch wieder hinziehen?*
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