Kleider machen Leute

Neulich musste ich über‘s Anziehen nachdenken. Das habe ich lange nicht. Meistens ziehe ich zwei, drei Tage dieselben Sachen an, bis ich denke, jetzt wird‘s vielleicht ein bisschen unmanierlich, dann suche ich was Neues raus. Gelegentlich finde ich das lästig und ziehe das Zeug vom Vortag einfach noch einen vierten Tag an. Und dann ziehe ich endlich ein frisch gestreiftes T-Shirt oder ein geblümtes Kleid an. Seit vielleicht ein, zwei Jahren ziehe ich häufige bunte Kleider an. Angefangen hat das mit einer rückblickenden Verwirrung zu tun. Ich konnte mich selbst auf alten Fotos nicht auseinanderhalten. Im Nachhinein wusste ich nie, ob ich dieses blau-weiß gestreifte Shirt im Jahr 2015 oder doch vielleicht 2019 getragen hatte.

Dann passierte so allerlei, ein Chefredakteur musste in die Zwangspause und ich kam auf einmal dazu über die Kleider meines Berufslebens nachzudenken. Wie mir das in den Sinn kam? Das frage ich mich auch, wenn ich es recht bedenke. Wahrscheinlich hätte ich mir für diesen einen Chef auch so eine Zwangspause gewünscht. Ach, wahrscheinlich, quatsch, ganz sicher sogar. In jenen Wochen, in denen wir alle „Der Teufel trägt Prada“ gelesen, empfohlen und verliehen haben. Obwohl wir keine Chefin hatten, nicht in der Mode-Industrie beschäftigt waren und nie tablettweise Kaffee zum Mitnehmen gekauft haben. Aber fangen wir vorne an.

Im Studium hatte ich immer ein paar schlichte schwarze Schnürschuhe, möglichst ohne Verzierungen, so wie manche Herren sie zum Anzug tragen. Die habe ich zu allem angezogen zur Jeans, zum T-Shirt, zum Minirock. Ich weiß noch, dass ich am Studium den Umzug in eine fremde Stadt und die damit einher gehende Möglichkeit mich ein bisschen neu zu erfinden, außerordentlich schick fand. Keiner wusste schließlich, dass ich in der Schule eine rote Vanilla-Hose mit Bundfalten getragen hatte oder dieses rosa Sweatshirt mit schwarzem Schriftzug. Vorbei, das war mein altes Ich gewesen, jetzt war ich erwachsen und bereit für einen coolen neuen Lebensabschnitt. So cool wie die Jeansjacke von Levis, die mein ständiger Begleiter wurde, schwarze, ziemlich kurze Miniröcke, weit ausgeschnittene T-Shirts und die dunkelblaue Waxed Cottonjacke im Winter, denn ein bisschen bürgerlich und wohl behütet war ich auch an der Uni eigentlich noch.

Dann machte ich Examen und mir Sorgen, dass die Anderen da draußen in der Berufswelt professionell wären, weshalb sie meine Albernheiten und Fehler schnell als kindisch entlarven würden. Neue Äußerlichkeiten mussten her. Zum Examen hatte ich mir eine dunkelblaue Anzugshose gekauft. Ich kaufte noch zwei Twin Sets, kurzärmeliger Pulli und Strickjacke in derselben Farbe sowie drei Shirts in unterschiedlichen Farben. Das schien mir ein guter Kompromiss zwischen bequem und ordentlich zu sein. Manchmal durfte ich als Volontärin auch mit auf Events, dafür hatte ich ein kleines Schwarzes. Nach einer Weile tauschte ich das Minikleid gegen ein längeres Kleid, das etwas hochgeschlossener war. Dienstreisen in alle möglichen Städte und Länder kamen immer öfter in meinem beruflichen Alltag vor. Wir stiegen oft in teueren Hotels ab. Kleidung musste knitterarm sein, ein wenig elegant und … hochgeschlossen. Ich wollte nicht verwechselt werden. Ich war die einzige Frau im Team.

Ich wurde entlassen, schlug mich als Freie durch. Und war ganz begeistert, als ich ein Angebot aus Hamburg bekam. Endlich Redakteurin und das auch noch in der schönsten Stadt der Welt. Wow wie schick, ich freute mich wie bolle und ignorierte aktiv den Umstand, dass es nicht ein Nannen-Preis- verdächtiges Magazin war. Hochmotiviert erschien ich in der Redaktion. Die Kolleginnen waren supernett, Kollegen gab es auch, ein paar wenige zumindest. Ferner gab es einen ziemlich alten Chefredakteur, einen recht jungen Stellvertreter, der Kronprinz, verschiedene Ressortleiter sowie keine Leiterinnen von nix. Ich gewöhnte mir Blazer an, Rollkragenpullover und flache Schuhe mit fester Sohle an. In dieser Redaktion hielt ich nicht lange durch, das Betriebsklima war einfach zu, öh, laut.

Also wieder als Freie. Die Blazer behielt ich auch im Home-Office bei. Wie viele Journalistinnen und Kollegen hatte ich das schon bevor es so hieß und lange bevor es hip war. Mein Arbeitsplatz war lange der Schreibtisch im Wohnzimmer. Mit einem Arbeitsweg von knapp fünf Metern, brauchte ich Äußerlichkeiten um mich auch mit dem Bett in Sichtweite arbeitsam zu fühlen. Im Blazer konnte ich irgendwie energetischer telefonieren, selbst wenn an den Füßen bloß Wollstrümpfe steckte. Ich bin immer noch überzeugt, ohne die richtige Bekleidung hätte ich mir so manchen Auftrag nicht erquatscht.

Heute arbeite ich als Teilzeitjournalistin. Die Teilzeit in meiner journalistischen Tätigkeit macht mich freier als ich es als so genannte Freie jemals war. Frei, schlecht bezahlte Aufträge abzulehnen, frei, fiese Arbeitsumgebungen links liegen zu lassen. In der durch die Teilzeit freigewordenen Zeit arbeite ich als Lehrerin. Seit einigen Jahren trage ich meist Kleider aus weichem Baumwolljersey. Gelegentlich wechsele ich in Streifenshirts und Jeans. Der Bedarf an festem Schuhwerk, gepolsterten Blazern und hochgeschlossenen Shirts ist mir zwischenzeitlich abhanden gekommen. Habe ich nicht mehr nötig. Gut, ne?
Höchstens über die rückblickende Unterscheidbarkeit könnte ich noch mal nachdenken. Vielleicht sollte ich den einzelnen Jahren Farben zuweisen. 2021 könnte dann das marineblaue Jahr sein, 2022 wäre vielleicht rot die einzige Farbe, die in Frage kommt. Jaja, ich weiß, Sie schmunzeln jetzt, aber so schweifen die Ideen ab, wenn Kleidung bloß der privaten Belustigung dient.

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