Von der Verbiedermeierung

Allein eine Überschrift mit „Von …“ zu beginnen ist so was von bildungsbürgerlich, alte-Sprachen-verstaubt. Genau das aber macht diese Pandemie mit mir, diese Verbürgerlichung.

Als erstes kam eine Phase inniger Häuslichkeit, in der ich die eine oder andere Ecke in der Wohnung entdeckte, die poliert, lackiert oder gestrichen werden wollte. (Weiße Lackarbeiten, blaue Tafel-Wand, rote Wände, ein graues Zimmer, welches das Kind mit einem selbstgemalten Flamingo aufgehübscht hat.)

Dann haben wir immer aufwändiger gekocht. Und die Corona-Kulinarik entwickelt. Das ist im wesentlichen eine Liste wunderbarer Gerichte an unserem Kühlschrank, die wir nur ein zweites Mal kochen wollten, wenn Gäste anwesend wären. Das Ziel war möglichst oft Neues auszuprobieren und nicht vorschnell ein paar neue Lieblings-Speisen zu haben, die dann immer und immer wieder auf den Tisch kommen würden. Haben wir nicht ganz durchgehalten. Burrata mit heißen Weintrauben zum Beispiel fanden wir so lecker, dass wir es erstens auch denselben Gästen versehentlich schon mehrfach aufgetischt haben. Denn gelegentlich waren und sind wenige einzelne Gäste zu Besuch, immer mit viel Abstand, Tests und eifrigem Lüften. Und dann gibt‘s Lieblings-Essen. Andere Hobbys haben wir zur Zeit ja kaum. Jedenfalls kam es da so, dass wir gefragt wurden, ob das nun unser Signature-Gericht sei? (Ja, Kate, Du bist gemeint.) Zweitens haben wir es uns heimlich selbst auch mehrfach gekocht. Gelegentlich haben wir zur Burrata süß-herzhaft-scharfe Tomaten in der Pfanne gemacht. Das ist dann ja eine Abwandlung eines sehr leckeren Gerichts, steht so nicht auf der gelben Kühlschrankliste und gilt darum auch gar nicht, oder? So kochen wir uns jedenfalls durch die Zeit. Stets bemüht, möchte ich sagen. Trotzdem blieb noch etwas Zeit übrig. Und so begann der Alltagsprinz mit Solveig, dem ersten Sauerteigbrot, dem wöchentliche weitere folgten.

Es war immer noch Zeit übrig. Das Fitnessstudio war weiterhin geschlossen, Reisen auch eher keine so gute Idee. Weshalb ich wieder mehr zu lesen begann und mein Bücherregal neu sortierte. Als dann immer noch Muße übrig war, begann ich wieder mit dem Klavierspielen. Das Kinderhobby hatte ich vor ein paar Jahren schon mal wieder angefangen, damals mit wöchentlichem Besuch in der Musikschule und häufigeren Besuchen im Pianohaus Trübger, die einen Übungsraum haben, den man in prä-pandemischenZeiten im Zehn-Minuten-Takt mieten konnte. Denn ein richtiges Klavier passte in meine kleine, feine Bude auf der Schanze wirklich nicht auch noch rein. Übungsräume in fremden Pianohäusern gehören gerade der Geschichte an (Hygienkonzept, Masken, Desinfektionsroutinen). Ich fing trotzdem wieder mit dem Spielen an, mit dem Alltagsprinz zog ein E-Piano in unsere gemeinsame Wohnung, der Klavierlehrer der Nachbarn (Stefanos, du bist gemeint!) hatte noch ein wenig Zeit und erstaunlich viel Enthusiasmus („Das hast du toll gemacht.“) für mein stümperhaftes Geklimpere. Der Alltagsprinz fühlte sich nach einer Weile genötigt zu fragen, ob ich denn vielleicht bald mit dem Üben der zweiten Note… er könne das einfache C jetzt schon ganz gut hören und sei bereit für die nächste Eskalationsstufe. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen oder wegen Corona hatte ich auf einmal wieder schrecklich viel Lust auf Fingergymnastik. Und jetzt habe ich ein Klavier gekauft, ein schwarz glänzendes feines Klavier, welches auch ganz und gar stumm spielen kann. (Die Nachbarn und der Alltagsprinz werden es mir danken. Ich danke stattdessen meiner Mama, die sowieso die beste ist. ) Denn das weiß ja jeder, erst mal braucht es gutes Material, dann wird das was mit der späten Wunderkind-Karriere. Wird es nicht?
Sonst verbiedermeiere ich hier einfach weiter fröhlich vor mich hin.

P.S. Das Buch, „Fräulein Nettes kurzer Sommer“, das können Sie gut lesen, wenn Sie diesen Sommer ein bisschen Zeit übrig haben. Karen Duve nimmt sie mit in einer Zeit vor 200 Jahren, als die Liebe genauso aufregend war, wie heute, wenn es gut läuft, die Studentenzeit genauso wild war, wie heute, wenn kein Corona ist (zumindest für die Jungs, die Damen sollten lieber Röschen in Leinentücher sticken und gelegentlich in Ohnmacht fallen), die Wissenschaft spannend und das aufkommende Arbeitsleben im Dienst genauso mühsam, wie er heute gelegentlich ausfällt.

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