Runen und Ruinen

Kühe, immer wieder Kühe. Wohlgenährte Kühe, tiefen-entspannte Kühe, Kühe, die mitten auf der Bundesstraße chillen, das ist fast das erste, was mir in Georgien auffällt, kaum haben wir Tblissi in Richtung Westen verlassen. Tiflis sagen wir jetzt natürlich nicht mehr, das ist entschieden unterhalb unserer Würde als informierte Reisende.

Noch abends, als wir angekommen waren, flirrte die Luft vor Hitze, lauter unverständliche Gespräche um uns herum.


„Richtig!“, fühlte mein Körper fast sofort, so muss es sein, das Erkunden der Fremde, genau diese aufgeregte Hitze*, wenn man noch nicht richtig weiß, wie es werden wird, ob man ein Taxi findet, wie man sich verständigen kann, wie die Leute so drauf sind. Irgendwie gelang es uns trotzdem Georgi**, zu finden, der uns gemeinsam mit seiner 10-jährigen Tochter in die Stadt fahren sollte. Eine gute halbe Stunde später schlängelten wir uns in einen Hinterhof hinter einem ersten Hinterhof. Alle Häuser haben kunstvoll verzierte Holzbalkone in unterschiedlichen Stadien der Verwesung. Manche sind frisch lackiert, so dass die graphischen Muster wunderschön zur Geltung kommen, andere haben selbst gebaute Vorbauten, welche die dahinter liegenden Altbauwohnungen um ein paar Quadratmeter erweitern. Sprachlos staunten wir die Schönheit an. Sprachlos blieben wir dann auch erst einmal. Zumindest fast. Mit unserer Gastgeberin hatten wir fast keine gemeinsame Sprache, über einzelne Wörter, hallo, danke, gut und tschüß kamen wir nicht hinaus, der Rest der Verständigung musste geturnt werden.

Am folgenden Morgen jedenfalls sitzen wir in Tsotnes Auto und kommen langsam voran, zu viele Schlaglöcher, die vorsichtig umfahren werden müssen und eindeutig zu viele Kühe, die immer mal wieder in kleinen Pulks herum stehen. Treufreundlich schauen sie uns entgegen, Platz machen wollen sie trotzdem nicht. Erst als Tsotne schimpfend ein Barbecue in Aussicht stellt und energisch hupend eine von ihnen mit dem Kotflügel beiseite stupst, kommt Bewegung in die Sache. Die Landschaft ist in der Ebene etwas ausgedörrt, weiter oben in den Hügeln vergrünt sie sanft.

In Gori wurde Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili geboren, bekannter wurde er als Josef Stalin. Daran ist allerdings das Museum, welches sie ihm zu Ehren in seiner Heimatstadt eingerichtet haben, nicht schuld. Eine Aneinanderreihung von Devotionalien aus seiner Zeit als mächtigster Mann der Sowjetunion: Bilder, angestaubte Staatsgeschenken, die ohne Einordnung eher wie in einem – zugegeben ordentlich aufgeräumten – Dachboden herum stehen. Lediglich ein kleiner Raum im Erdgeschoss erwähnt das System der systematischen Vernichtung. Andersdenkende, ehemalige Mitarbeiter mit zu viel Detailwissen aus den Hinterzimmern der Macht und andere Mitmenschen verschwanden in den Kellern und sibirischen Lagern. Niemand sollte sich im Angesicht der Gulags seines Lebens sicher fühlen.


Wir erholen uns vom Museum und wandern kreuz und quer über einen kleinen Bach zu einem Wasserfall. In Georgien haben die Sommerferien noch nicht angefangen. Wir sind alleine im lieblichen Grün unterwegs. Relativ bald gebe ich es auf mit meinen rutschigen Sandalen von Stein zu Stein übers Wasser zu hüfen und latsche einfach mittendurch. Kühle Füße in der flirrenden Sommerhitze – so gut. Noch besser wird es als uns der Wasserfall in feinen, feuchten Neben hüllt. Wir entdecken Geckos und ein paar Schmetterlinge.

Erinnerungen, die sitzen

Manchmal muss ich Sachen machen, die bei mir bleiben. Das kann nicht immer funktionieren. Aber doch wohl von Zeit zu Zeit. Eine solche Sache ist der Abend bei Nika Vacheishvili und seiner Familie. Verschwitzt und leicht angestaubt kommen wir von unserer kleinen Wanderung bei ihm an. Kaum sitzen wir frisch geduscht auf der großen überdachten Terrasse gleich neben der Sommerküche taucht der erste kühle Weißwein auf unserem Tisch auf, gefolgt von allerlei Köstlichkeiten: Frischer Bauernsalat mit dicken saftigen Tomaten und Paprika und extra viel Schafskäse, gegrilltes Kalbsfleisch, duftendes Fladenbrot, Oliven und – natürlich – Chatschapuri, das für Georgien typische überbackene Käsebrot. Der Blick geht in sauber angelegte Reihen junger Weinreben. Am Nachbartisch feiern ein paar Künstlerfreunde aus Tblissi den fünften Hochzeitstag eines jungen Elternpaares, das dazugehörige Kleinkind hüpft fröhlich durch die Gegend, unser Gastgeber plaudert mit uns auf deutsch. Später bringt er dem Nachbartisch eine Gitarre vorbei, georgische Singer-Songwriter-Balladen ertönen. Ach, das Leben ist schön.

  • *Es gibt einfach mehr heiße Gegenden als kalte Länder, die ich erkundet habe.
    ** Namen geändert.
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