Wenn man eine Wanderung macht oder – in meinem Fall ist das wahrscheinlicher: – eine Ruderwanderfahrt, dann hat man ja meist eine geplante Tagesetappe, man weiß also, wann man ungefähr fertig sein wird mit dem Sport des Tages. Je nach sportlicher Zuversicht, Wasserströmung und örtlichen Gegebenheiten sind solche Etappen mal länger, 80 Kilometer, nein sogar 100 Kilometer, oder kürzer, 20 – 30 Kilometer. Egal, auf welche sportliche Herausforderung man sich eingelassen hat, auf den letzten Kilometern, denkt man immer so ein unwillkürliches „ach“.
Interessanterweise denkt man das bei Kilometer 30, wenn man 80 vorhat, nicht. Wohl aber bei Kilometer 29, wenn an diesem Tag eben 30 geplant waren. Und ganz besonders fies wird es, wenn zum Beispiel, eine Tagesetappe von, sagen wir, 55 Kilometern, eingeplant war und kurz vor Halle an der Saale wird allen klar: Mist, wir haben uns vertan, sind doch noch zehn Kilometer mehr. Die Luft ist weich, das Licht schon bläulich, ich denke, wie schön wäre jetzt ein frisches Bier am Steg und dass ich auf keinen Fall noch eine ganze Stunde weiter rudern kann. Dabei rudere ich wirklich gerne und will das normalerweise eigentlich immer tun, wenn ich Zeit habe. Aber, jetzt, in diesem speziellen Moment, als sich die zehn Extra-Kilometer in unsere Ferien zwingen, da will ich nicht mehr, kein bisschen, nada. Eigentlich will ich auf den Arm und ein Vanille-Eis, ein Bier, oder was weiß ich, aber auf jeden Fall nicht das.
Ein bisschen fühlt sich in manchen Momenten die Pandemie so an. Obwohl in meinem besonderen Fall gar nicht alles schlecht ist. Ich kann ungebremst weiter arbeiten, verdiene genauso viel Geld wie vor der Krise, spare aber ein bisschen, weil ich fast nur noch im Homeoffice arbeite und darum deutlich seltener Auto fahre. Mein Home-Office ist überwiegend nett, auch weil unsere Wohnung wirklich groß genug ist. Und schön. Durch die wegfallende Pendelei habe ich durchaus mehr Zeit und durch all dieses Home-Aktivitäten auch mehr Gelegenheiten, Details zu entdecken, die verschönerungswürdig sind. Wir haben jetzt eine ziemlich große dunkelblaue Wand im Flur, die eine Tafel ist und dort alle ziemlich engagiert gemalt (das Kind am begabtesten), wir haben außerdem an den gegenüberliegenden kurzen Enden des Flurs rote Wände. Wir haben ein graues Gästeklo, in welchem die Klorollen von einem Flamingo (wieder das Kind) bewacht werden. Wir haben ganz schön viele frisch lackierte Holzdetails an Türen und Fensterrahmen. Das ist alles sehr schön. Und auch noch nicht fertig. Zum Leidwesen des Alltagsprinzen finde ich durchaus noch weitere Ecken, die aufgehübscht werden könnten.
Aber manchmal schleicht sich auch ein bei mir so ein Wanderfahrten-Kilometer-29-Gefühl ein. Es gäbe noch Projekte, aber ist nicht langsam auch mal gut? Zumindest seit die Zahlen der Neuinfektionen nicht so recht zurück gehen wollen, der R-Wert immer noch um die 1 pendelt, obwohl wir seit Weihnachten mehr oder weniger streng im Lockdown weilen. Ich schwanke zwischen „Männo, jetzt reicht es aber.“ und diesem leicht verbissenen Gefühl, wenn kurz vor dem Etappenziel noch ein paar neue Ruderkilometer aufgetaucht sind, die irgendwie nicht vorgesehen waren: „Komm jetzt noch mal anstrengen, immer bloß an den nächsten Ruderschlag denken, dann wird das schon.“ Bloß noch diese Woche konsequent zu Hause bleiben. Dann wird das schon. Die Impfdosen für alle werden irgendwann schon noch kommen.
Frühlingsbrecher
Immerhin vergangene Woche habe ich Märzenbecher im Wald entdeckt. Ich war nämlich wandern spazieren in meine Provinz. Auch so ein Satz, der nicht so recht zu mir passt. Ich war im Wald, w a n d e r n. Das bin doch nicht ich? Jedenfalls war das trotzdem schön. Genauso schön wie der Wanderurlaub im Schwarzwald vergangenen Herbst, der auch schon nicht so recht zu mir passte. Aber was willste machen? Es war Corona und andere Urlaubsoptionen gab es nicht so wirklich. (Ich weiß, ich weiß, das ist ein Luxusproblem.) Jedenfalls ohne die Verlängerung der Pandemie hätte ich die Märzenbecher wahrscheinlich nicht gesehen.
Kochen und andere Eskalationen
Sonst kocht die Gourmetguerilla außerordentlich hübsche, bunte Gerichte. Und Kaquus. Und natürlich Arthurs Tochter, über die ich auch Kaquus entdeckt habe. Ach, kochen, das haben wir ein bisschen ziemlich eskaliert in den letzten Wochen und Monaten. Bunter, aufwendiger, leckerer. Und wir machen neuerdings sogar eigenen Joghurt. Braucht man nicht unbedingt, ich weiß, aber funktioniert als Erweiterung des Hobbys Kochen ganz gut. Und leckerer ist mein eigener Bulgaria Joghurt auch als die mildgerührten Varianten im Supermarkt. Das neueste Projekt: Sauerteigbrot backen. Sie sehen, die Pandemie muss irgendwann auch mal enden, sonst kloppe ich hier noch die Wände bis auf den Putz frei um sie anschließend mit ökologisch verträglichen Lehmwänden wieder aufzubauen. Oder ich verkoche jedes auffindbare Gemüse in Einmachgläser. Und das will wirklich niemand.